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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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völlig neuartiges Erlebnis, wie stark Erkenntnis
sein kann, die aus dem Fühlen und Empfinden hervorbricht, und er ahnt dunkel,
welch ein Unfug es ist, Kunst in Gattungen, Arten, Genres zu zergliedern,
voneinander zu scheiden, was genuin zusammengehört. Solche Unterscheidung dient
nur Scharlatanen zur Aufwertung ihrer Drittklassigkeit, denen, die nur sagen
können, wie eine Sache ist, in dürren, banalen Worten. Kunst aber ist die hohe
Fähigkeit der Implikation, und ein Meister redet in einem einzigen Satz tausend
Geschichten und in tausend Sprachen so, daß jeder ihn versteht. Nur der Stümper
braucht Kritiker, die seinem Publikum erklären, was Sinn und Anliegen seines
Werkes war.
    Hyazinth glaubt nun, die ersten
Vokabeln dieser Meistersprache erlernt zu haben.
    Immer noch tobt der Beifall, aber
ihm will es scheinen, als bewege eher die Tributpflicht des Gefolges die Hände,
als wirkliche Begeisterung. Er atmet tief durch, der Pulsschlag beruhigt sich.
    Und nun endlich rufen sie,
brüllen, johlen und pfeifen. Ein Orkan bricht los. Hyazinth lächelt erlöst. Sie
haben es verstanden, denkt er, sie waren nur fassungslos über sich selbst, über
ihr Vermögen, durch das Teleskop meines Tanzes so weit in die Welt
hinausschauen zu können.
    Er schaut wohlwollend auf seinen
Hofstaat und versucht angestrengt, einen ziemlich unpassenden Gedanken zu
unterdrücken: Sogar mein idiotisches Grinsen lieben sie, diese Schwachköpfe...
    Nach einer angemessenen Frist
geht er zu den beiden Musikern und zieht sie mit sich zum Bühnenrand, hinein in
den Glanz der Ovationen. Dort er schüttelt ihnen dankbar die Hände.
    Während der Beifall noch einmal
zu einer Springflut aufbrandet, sagt er: “Ihr habt gespielt, als könntet ihr
meine Seele sehen. Verzeiht, daß ich eure Meisterschaft so selbstsüchtig
nutzte, aber ich war es eigentlich gar nicht… es war… ich weiß nicht…”
    Der Sitarspieler drückt fest
seine Hand. In seinem faltigen, von grauem Haargestrüpp gerahmten Gesicht
blitzen die Augen, und er lächelt, als er sagt: “Du bist wie aus Glas, mein
Junge. Es hat Spaß gemacht, deine Gedanken zu lesen und dir mit der Musik eine
Welt zu schaffen, in die du diese Botschaft tanzen konntest. Dein Talent muß
viel größer sein als es den Anschein hat – sonst hätte es die Zeit in
Weltenstein nicht unbeschadet überdauert.”
    “Aber nicht doch! In Weltenstein
– bei Choreut Desmin – habe ich erst gelernt, was ich jetzt kann. Vorher war
ich kaum fähig, drei Schritte zu tun, ohne zu stolpern”, erwidert Hyazinth
verwirrt.
    “Du wirst einst verstehen, was
ich meinte. Hast du bei Choreut Desmin von Noverre gehört, jenem Tanzmeister
des Mittelalters?”
    Aber ja! Hyazinth nickt heftig.
Der Beifall ist die Nahrung der Künste, aber er hört auf, heilsam zu sein, wenn
er nicht mit Einsicht ausgeteilt wird… die Anfänger der Tanzkunst sind wie
Kinder, die eine allzu blinde und zärtliche Liebe unvermeidlich verdirbt –
diesen Satz des großen Noverre hatte Desmin ihm als Geleit mit auf den Weg nach
Szingold gegeben, und Hyazinth hatte ihn sich nach jedem Auftritt ins
Gedächtnis gerufen. Nur heute nicht. Seltsam. Spielte der Musiker etwa auf
diese Sentenz an? Sollte es eine milde Zurechtweisung sein?
    “Solange der Kopf der Tänzer
nicht ihre Füße lenkt, werden sie sich allezeit verirren. Deinen Kopf hat
Desmin nicht geformt, nur deine Füße.”
    Das meint er. Hyazinth atmet
erleichtert auf. Der Spruch vom Kopf und den Füßen ist ihm wohlbekannt. Choreut
Desmin hatte ihn mindestens ebenso oft zitiert, wie die vielen Episoden über
die Tänzer des antiken Griechenland.
    Das Publikum applaudiert immer
noch, aber jetzt gelöster, freudiger. Hyazinth begreift sogleich, weshalb: Die
Bühne senkt sich langsam, wird in wenigen Augenblicken mit dem Saalboden zu
einer Tanzfläche verschmelzen.
    “Vielleicht hast du Lust, mich
einmal zu besuchen, Hyazinth?”
    “Ja, gern. Wir könnten doch noch
einmal zusammen auftreten.”
    “Darüber kann man reden.”
    Der Mann wendet sich zum Gehen.
    “Wo finde ich dich?” ruft
Hyazinth ihm nach.
    “Frage nur nach Tremakut!”
    Dann verschwindet er in der
durcheinanderquirlenden Menge.
    Frage nur nach Tremakut! denkt
Hyazinth verblüfft. Ist er so bekannt in Szingold, daß jedermann seinen Namen
weiß?
    Mehrfach hatte Hyazinth
feststellen müssen, daß nicht nur sein Name der Szingolder Öffentlichkeit bekannt
war, und oft kam ihm schon der Verdacht, daß seine Popularität sich

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