Copyworld: Roman (German Edition)
Instrumente auszupacken und eine
kleine Etüde zu spielen. Raga Bihag, nach Sonnenuntergang zu spielen. Hyazinth
tanzte den Sonnenuntergang. Er tanzte das Abendrot über den Bergen, die im
Osten aufsteigenden Sterne.
Die beiden Musiker sahen sich
verwirrt an, und sie nickten.
Hyazinth fiebert dem Auftritt
entgegen wie lange nicht. Die Musik des uralten Hindustan hat ihn verzaubert.
Tagelang lief er mit Klangperlen in den Ohren herum und tanzte im Takt
altindischer Klassik durch Szingold. Seine Anhänger liefen ihm in Scharen hinterher,
tuschelten verblüfft und hielten ehrfürchtig Abstand. Alle ahnten, daß
irgendetwas bevorstand. Hyazinth beachtete sie nicht, er tanzte wie im Rausch,
aber es waren nur fragmentarische Gedanken, Gefühle, Bilder, die er gestaltete.
Er huschte darüber hinweg, deutete nur an, nicht aus. Es war, als erlerne er
das Vokabular einer fremden Sprache: Hin und wieder formulierte er ein oder
zwei Sätze, um sich zu vergewissern, dann prägte er sich das nächste Dutzend
Worte ein. Manch einer zweifelte sogar an seinem Verstand. Allein Rhomega
lächelte säuerlich zu allem, er begriff wohl - schwieg aber. Vielleicht in der
stillen Hoffnung, sein Konkurrent würde den Geschmack des Publikums überfordern
und damit ihm die Chance geben, verlorenes Ansehen aufzufrischen.
Rhomega ist zweifellos
talentiert, aber Talent allein genügt nicht, ihm fehlt die technische
Ausbildung und vor allem der künstlerische Wille. Er tanzt nur sich selbst,
jeder Versuch, etwas wirklich zu gestalten, wird bei ihm zur billigen Hopserei
- das hatte Hyazinth mit dem Blick des Meisters schnell erkannt. Trotzdem war
Rhomega der König aller Tanzflächen. Bis Hyazinth kam. Was blieb Rhomega
anderes, als es mit Fassung zu tragen. Wie ein Derwisch wirbelte Hyazinth durch
die Tanzclubs und war innerhalb weniger Wochen der Gott des Sigmapalastes.
Trotzdem stellt sich Rhomega – und das nötigt Hyazinth Respekt ab – immer
wieder dem ungleichen Duell. Mit verbissener Wut und Hartnäckigkeit. Vielleicht
hätte Hyazinth ihn ab und zu gewinnen
lassen, wenn Tauphi nicht wäre
Heute wird er nur für sie tanzen.
Ein silbriges Sprudeln von Tönen.
Es schäumt auf und verrinnt. Atemlose Stille im Saal. Das Bühnenlicht
erstrahlt. Ein Ächzen geht durch die Menge, als das Leuchten sein
perlmuttschimmerndes Trikot in phantastischen Grüntönen schillern läßt.
Dann ein erneuter Akkord der
Sitar. Für einige Sekunden wird es unruhig im Publikum, aber Hyazinth bemerkt
es nicht mehr. Schon der erste Klang des Instruments hat seine Sinne betäubt,
er spürt nur noch die Musik und den Boden unter den Füßen.
Die Sitar singt ein
melancholisches, einfaches Lied.
Anfang… Anfang… Immer wieder
perlt dieser Gedanke durch Hyazinths Bewußtsein – Anfang…
Er sieht ein Samenkorn tief im
Schoß einer wunderbaren Welt ruhen. Ein beunruhigendes Bild, er weiß nur nicht,
weshalb. Woher kommt es? – er wollte doch die Kosmogonie tanzen. Das Bild
verwirrt ihn. Und es bleibt hartnäckig in seinem Kopf, verdrängt alles andere.
Da durchfährt es ihn wie ein
Blitzstrahl: Das bin ich! Eine übermächtige Kraft preßt ihn zu Boden, die Knie
knicken ihm ein, er sinkt in sich zusammen, wird immer kleiner, winziger –
schrumpft zu einem Samenkorn. Das Schwirren und Sirren der Musik verwandelt
sich in Licht und Wärme. Hyazinth ist sich nicht bewußt, daß er längst tanzt,
denn er hat kein Bewußtsein mehr. Er ist ein Samenkorn. Zusammengekauert hockt
er am Boden. Seine linke Hand wächst wie ein zarter Keim suchend in die Höhe,
tastet über die Oberfläche, schlängelt sich dem Licht entgegen.
Immer mächtiger werden die
Klänge, stürmend und strahlend wachsen sie, und Hyazinths Körper folgt diesem
Wachstum. Er hat sich erst halb aus der Hocke aufgerichtet, da durchlaufen
bereits sanfte Wellen den zusammengekrümmten Tänzer, fließen durch seine
Muskulatur von den Waden herauf über Oberschenkel, Gesäß und Bauch bis in die
plastisch ausgeformten Nackenstränge. Bevor die erste Welle verklungen ist,
quillt schon die nächste aus dem Boden. Allmählich streckt sich Hyazinth unter
der Macht dieser in ihm aufströmenden Kraft.
Die Körperwellen sind eines der
schwierigsten Tanzelemente, erfordern totale Beherrschung des
Bewegungsapparates und vor allem einen ungeheuren Kraftaufwand, der dem sanften
Fließen nicht anzumerken ist: Plötzlich beulen sich Muskelwülste aus der
athletischen Statur des Tänzers, wo niemand solche
Weitere Kostenlose Bücher