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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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Insbesondere der hohe Standard der intellektronischen Industrie
ist ein Ergebnis der Vorstöße ins All und kommt nun dem Projekt zugute.
    Der Raumfahrt folgten andere
Bereiche aus Forschung und Wissenschaft, und heute arbeitet die gesamte
Menschheit nur noch für das eine große Ziel. Der Prozeß des Umbruchs hat den
Charakter einer Lawine angenommen. Je mehr Menschen digitalisiert werden, desto
mehr Kapazitäten werden für das Projekt frei: Landwirtschaftliche Nutzfläche
wird als Bauland für die gewaltigen intellektronischen Blöcke gewonnen, deren
dutzende Meter dicke Silikatpanzer Millionen von Jahren trotzen sollen.
Rohstoffe gewinnt das Projekt, je mehr sich die Anzahl der lebenden Menschen
reduziert, und Energie – vor allen Dingen mehr Energie.
    Zärtlich streichelt Hyazinth
Federchens kugeligen Hinterleib. Wer die Jupiterwesen “Spinnen” genannt hat,
konnte wahrscheinlich ein Pferd nicht von einem Huhn unterscheiden – das hat
Hyazinth schon des öfteren gedacht. Zwar kennt er diese Tiere – und viele
andere auch – nur von Abbildungen, aber Ähnlichkeiten zwischen irdischen
Spinnen und ihren Namensvettern vom Jupiter gibt es nur wenige. Vermutlich war
die Spinndrüse am Hinterleib der Grund für den sprachlichen Fehlgriff. Außerdem
neigt der Mensch dazu, seinem immer irgendwie begrenzten Wortschatz mehr zu
vertrauen als unklaren Empfindungen, vagen Träumereien.
    Wenn es nach Hyazinth ginge,
würde man die Fadenschaumspinne ganz anders nennen. Vielleicht “Lächelndes
Wollhäuptchen” oder “Schmiegzärtel”, “Schwebchen” wäre auch hübsch…
    Tatsächlich besitzt der längliche
Kopf von der Größe einer Faust ein Gesicht, wo bei irdischen Spinnentieren
bizarre Mandibeln, Starraugen und allerlei Borsten aus dem Vorderleib wachsen.
Zwar ist es ein merkwürdiges Gesicht, denn die vermeintlichen Augen sind mit
einer Art Trommelfell übespannte Gehörtrichter und die Nase ein keulenförmiges
Organ zur Wahrnehmung feinster Temperaturunterschiede, aber der sichelförmig
gebogene Mund ist wirklich ein Mund, auch wenn die flatternden Wülste, die wie
Lippen aussehen, in Wahrheit zur Erzeugung elektrischer Entladungen dienen, mit
deren Hilfe Federchen aus den Verbindungen des sie umgebenden Milieus
makromolekulare Stoffe synthetisiert, die ihr als Nahrung dienen. Besonders die
wollige Behaarung weckt den Anschein menschlicher Züge in dem fremdartigen Gesicht,
und dieser Eindruck verliert sich auch nicht, wenn man weiß, daß die
vermeintlichen Haare feine Kapillargefäße zur Wärmeregulation sind. Die
achtzehn Beine sind natürlich auch keine Beine, wenngleich die
Fadenschaumspinnen gelernt haben, die federartigen Ruderflügel unter irdischen
Verhältnissen als solche zu gebrauchen. Doch selbst in der relativ dünnen
Atmosphäre der Erde bewegen sie sich flink wie einstmals die Vögel, und es ist
ein prachtvoller Anblick, wenn Federchen mit geblähtem Atemkropf anmutig durch
die Lüfte segelt.
    Die Schwebspinnen des Jupiter
weben aus dem Fadenschaum ihre in der Gashülle des Planeten treibenden Stöcke,
in denen Kolonien von einigen tausend Individuen leben. Das bedingt ein
ausgeprägtes Sozialverhalten. Einige Dutzend Exemplare waren von Raumfahrern
getötet worden, weil diese den Vorgang des Einspinnens als Unfreundlichkeit
mißverstanden hatten. Dann entdeckte ein Pilot, der an einem bösem Ekzem litt,
die heilkräftige Wirkung des Fadenschaums.
    Aber nicht deshalb sind sie beliebte
Haustiere geworden. Der Fadenschaum ist luftiger als Watte, dabei aber fester
in den Einzelfasern. Ungefähr so müssen die Daunenbetten der Urmenschen gewesen
sein. Zu einem Schlaflager gehört eben eine Fadenschaumspinne, die jede Nacht
eine weiche Wolke süßer Träume um ihren Herrn webt…
    Doch sollte man nicht übersehen,
daß Fadenschaumspinnen etwas dämlich sind. Sie lernen nur wenige Kommandos zu
verstehen, und auch nur solche, die ähnliche Handlungen verlangen, wie sie im
Leben ihres Stocks zum Alltag gehören. In Hyazinth weckt es immer väterliche
Gefühle, wenn Federchen ihre Gehörtrichter unschlüssig zittern läßt, sobald sie
einen Befehl nicht verstanden hat, wenn sie verwirrt im Kreis herumflattert und
hilflos zirpt. Dann greift er nach ihr, preßt sie an sich und streichelt ihren
samtigen Hinterleib, und dann fragt er sich manchmal, ob die Mütter und Väter
früher wohl so ihre Kinder liebkosten, früher, als Kinder noch in Familien
aufwuchsen, die nur aus wenigen Personen bestanden,

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