Copyworld: Roman (German Edition)
äußerster Willensanstrengung
kämpft er den Wunsch nieder, die Kapsel in den Mund zu stecken. Nein! befiehlt
er sich. Das ist die eiserne Reserve, die letzte Chance für den Fall, daß ich
in eine fast hoffnungslose Situation gerate! Hände weg von dem Zeug!
“Achtung!” Von vorn ist Rhomegas
Ruf zu hören. Fast gleichzeitig krachen erneut Schüsse. Hyazinth sieht mehrere
Gestalten in weinroten Uniformen, die – anscheinend von dem Angriff völlig
überrascht – hilflos durcheinander laufen. Sie mußten aus dem weitgeöffneten
Tor gekommen sein, das die beiden Späher sofort unter Beschuß genommen haben.
Mit grotesken Hüpfern stolpern sie in den Tod, wenn eine Nadelwolke sie
erwischt. Laser blitzen auf, und Hyazinth dringt der stechende Geruch
verbrannten Fleisches in die Nase. Wieder würgt es ihn. Der Gestank erinnert
ihn daran, daß jene Wesen zu einem guten Teil aus organischem Material
bestehen, und daß er mit Holunder oft gestritten hat, ob es sich um Leben oder
perfekte Werkzeuge handelt.
Es ist schnell vorüber. Auch
diese Kreatiden waren unbewaffnet. Hyazinth ist nicht wohl in seiner Haut, als
er das feststellt. Verdammt noch mal, man muß die doch nicht abschießen wie
Pappkameraden! denkt er bestürzt.
Der Anblick ist gräßlich,
Hyazinth bekommt wieder weiche Knie. Die kahlen, nur von einem Haarkranz
gesäumten Schädel dieser Geschöpfe, ihre gutmütigen Onkelgesichter mit den nun
blicklosen Augen, die im Todeskampf verrenkten Glieder und überall diese rote
Flüssigkeit, die kein Blut sein soll – Hyazinth wendet sich ab und begegnet
Tauphis Blick.
“Es sind doch keine Menschen”,
sagt sie matt. Ihr Gesicht ist bleich, die Haut wirkt fast noch
durchscheinender als sonst. Sie lehnt sich gegen ihn und preßt den Kopf in die
Beuge zwischen seinem Hals und der Schulter.
“Es sind doch nur Kreatiden”,
murmelt sie dumpf.
“Steht da nicht rum! Los, rein in
die Omegahalle! Was meint ihr denn, wozu ihr hier seid?” Rhomega herrscht sie
wütend an und zeigt auf das Tor. Die beiden gläsernen Flügel sind weit
aufgeschwungen, in dicken Lettern prangt auf ihnen die Kennzeichnung OH Eins.
“Komm!” flüstert Hyazinth und
gibt sich einen Ruck.
Im Gegensatz zur hellen
Beleuchtung des Ganges füllt den Raum hinter der Tür Dämmerlicht.
Vier, fünf Männer verschwinden
mit schnellen und kurzen Sprüngen im Innern der Halle, einer den anderen
sichernd.
“Jetzt ihr!” befiehlt Rhomega,
gibt Hyazinth und Tauphi ein Zeichen.
Sie huschen geduckt in das
Halbdunkel. Zuerst erkennt Hyazinth nur die Umrisse von irgendwelchen, bis an
die Decke reichenden Regalen. Fast sieht es aus wie lange, endlose Reihen von
Speicherblöcken. Sie sind in konzentrischen Ringen angeordnet, durch schmale
Gänge unterbrochen, die strahlenförmig vom Zentrum der kreisrunden Halle
ausgehen. Aber es handelt sich weder um Regale, noch um Speicherblöcke, eher um
irgendwelche Waben.
Hyazinth bleibt erstaunt stehen.
Tatsächlich sehen die einzelnen Gebilde aus, als wären sie das Innere eines
gewaltigen Bienenstocks. Die Waben sind mit sechseckigen, durchscheinenden
Deckeln verschlossen und so groß, daß ein Mensch mit einiger Mühe
hineinkriechen könnte.
“Los weiter! Zum Hallencephalon!”
Rhomega deutet in eine der engen
Gassen, die zum Mittelpunkt des Raumes führen und hastet voraus.
Allmählich gewöhnen sich Hyazinth
Augen an das Dämmerlicht. Die Waben sind zur Hälft mit irgendeiner Flüssigkeit
gefüllt, so scheint es. Relativ deutlich ist eine verschwommene Linie zu sehen,
die den milchigen Deckel in eine hellere obere und etwas dunklere untere Hälfte
teilt. In dieser Lösung schwimmt irgendetwas. Hyazinth bleibt stehen und
versucht, durch das fast blinde Glas den Inhalt zu erkennen. Das Glas des
Deckels ist von innen mit Schlieren und Flecken verunreinigt, so als hätte man
es jahrelang nicht gesäubert. Was sich in der Wabe befindet, kann Hyazinth nicht
erkennen, aber sein Herzschlag wird immer schneller, läßt den Puls bis in die
Schläfen pochen.
Sollte das hier solch eine Halle
sein, von der Rhomega und Tremakut berichteten?
Er preßt das Gesicht gegen den
Deckel und hält den Atem an. Dort liegt eine dunkle, längliche Masse – besser
gesagt: sie schwimmt. Schwimmt in einer dreckigen, gelblichen Brühe, die
Hyazinth an abgestandenen Urin erinnert.
Da! Er schreit entsetzt auf und
prallt zurück.
Der Gegenstand hat sich bewegt!
Es stimmt! hämmert es in seinem
Kopf. Es stimmt! Es
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