Coq 11
an ihre Namen?«
»Selbstverständlich. Wie geht es den beiden, und was machen sie?«
»Pjotr hat in organischer Chemie promoviert und einen Lehrauftrag in Sankt Petersburg bekommen, und Sascha ist Korvettenkapitän in der Nordmeerflotte. Er ist in die Fußstapfen seines Vaters getreten.«
»Ist er nicht ein bisschen zu jung, um schon Korvettenkapitän zu sein? Verzeihung, ich gratuliere Ihnen natürlich zum Erfolg Ihrer Söhne. Könnten wir uns vielleicht duzen, Jelena? Ich heiße Carl.«
»Karl? Wie Karl Marx?«
»Ja, aber ich bezweifle, dass ich nach ihm benannt wurde. Wie heißt eigentlich die Karl-Marx-Straße jetzt?«
»Keine Ahnung. Zum Schluss hieß sie so ähnlich wie Bizznizzstraße. Nachdem du die wesentlichen Erkundigungen angestellt hast, stellt sich die Frage, ob du gekommen bist, um noch mehr zu erfahren.«
»Ich habe gelesen, dass du inzwischen Professorin bist«, antwortete er ruhig, ohne auf den ironischen Unterton einzugehen. »Operierst du immer noch selbst, oder hältst du nur Vorlesungen?«
»Ich operiere täglich. Meine Professur beinhaltet vor allem die praktische Unterweisung in der Klinik. Unsere Tätigkeit ist so konkret wie die eines Rohrlegers.«
»Ist es nie zu der Gastprofessur in Boston gekommen?«
Sie zögerte kurz, bevor sie den Kopf schüttelte. Endlich war es ihm gelungen, sie ein wenig aus der Fassung zu bringen. Man hatte ihr damals einen hervorragenden Job angeboten, der einer frisch verwitweten Frau einige Jahre lang ein gigantisches Einkommen geboten hätte. Die Verantwortung für ihren jüngeren Sohn war allerdings vorgegangen. Er hatte kurz vor dem Gymnasialabschluss gestanden, und wenn er damals alleingelassen worden wäre und seine Prüfungen vernachlässigt hätte, wäre er nie weiter gekommen als bis zur Hochschule in Murmansk.
»Ich habe vergessen, warum es so ist, Jelena, aber du kannst mir sicherlich erklären, warum ihr russischen Chirurgen in den USA so beliebt seid.«
Was sie berichtete, stimmte mit seinen vagen Erinnerungen überein. In den USA spezialisierten sich die Chirurgen frühzeitig, weil ihr Einkommen an ihre Spezialgebiete gebunden sei. Die unausgesprochene Hackordnung unter Chirurgen bliebe zwar bestehen, ein Thoraxchirurg würde immer über einem Urologen stehen. Aber dem vermögenden amerikanischen Patienten, der sich seine Blase so gut und teuer wie möglich operieren lassen wolle, sei die Ärztehierarchie egal. Er wolle einfach einen Spezialisten.
Im alten Sowjetsystem dagegen sei Geld nie ein Motiv für Spezialisierung gewesen. Langsam, aber sicher sei man die Gehaltsleiter emporgewandert, ob man spezialisiert gewesen sei oder nicht. Im Übrigen sei die medizinische Versorgung ja auch kostenlos gewesen.
Der Unterschied zwischen amerikanischen und russischen Chirurgen trage daher nahezu tragikomische Züge. Wer als Opfer eines Autounfalls mit lebensbedrohlichen Blutungen infolge eines zerquetschten Brustkorbs in ein Moskauer Krankenhaus eingeliefert werde, riskiere nicht, auf einen diensthabenden Arzt zu treffen, der womöglich auf Schließmuskel oder gar Vergrößerung der oberen beziehungsweise Verkleinerung der unteren Lippen spezialisiert sei. Besonders in den Notaufnahmen der Großstädte seien Ärzte russischen Schlages von enormem Vorteil. Sie würden auf den ersten Blick erkennen, was zu tun sei, und täten es einfach. Es sei Teil ihrer Berufsehre, dass den russischen – größtenteils weiblichen – Chirurgen nichts Menschliches fremd wäre. Sie seien mit allen Wassern gewaschen.
Das ist auf einem U-Boot ebenfalls von Vorteil, dachte Carl, während er in den Flur hinausging, um ein Papier aus der Innentasche seiner Uniformjacke zu holen.
Als er zurück ins Wohnzimmer kam, war der Enthusiasmus von ihr gewichen, mit dem sie die Unterschiede zwischen amerikanischen und russischen Chirurgen beschrieben hatte. Misstrauisch betrachtete sie den imposanten weißen Umschlag in seiner Hand.
Er blieb vor einem niedrigen Bücherregal stehen und griff nach einem gerahmten Foto ihres Mannes. Interessanter Kollege, dachte er. Der Mann auf dem Bild hatte seine Uniformmütze in den Nacken geschoben wie ein junger Matrose oder Unteroffizier. Einem hohen russischen Offizier sah das überhaupt nicht ähnlich. Er hatte Sommersprossen und eine leichte Stupsnase und strahlte Wohlbefinden aus wie ein Fisch im Wasser. Ein guter Offizier war er natürlich auch gewesen. Man übergab nicht irgendjemandem die Verantwortung für die strategischen
Weitere Kostenlose Bücher