Coq 11
erstaunliche Wirkung hatten, war Mouna bereits in Seweromorsk aufgefallen, als die ersten neuen Rekruten aus Anatolijs alter Kursk-Besatzung herbeigeströmt waren. Sie wünschte, sie hätte das alles schon begriffen, als sie wie eine Verrückte durch Europa und den Nahen Osten geflitzt und sich vorgekommen war wie eine Handelsvertreterin für Modeschmuck und Strass. Ihre Stimmung war im Keller gewesen. Bis ihr vor einem Monat plötzlich ein Geistesblitz gekommen war, der im ersten Moment genauso weit hergeholt schien wie die Idee, Carl zu rekrutieren:
Die »Operation Zaiton« hatte gewisse Ähnlichkeit mit ihrem Besuch bei Carl in La Jolla gehabt. Das Manöver war genauso improvisiert gewesen und hatte ebenso auf alten Erinnerungen und Gefühlen gefußt. Möglicherweise war ihr der Gedanke bereits gekommen, als sie mit Carl in La Jolla gesessen und bekommen hatte, was sie wollte – ein libanesisches Essen. Sie hatten gerade über die Frauen, die sie an Bord holen könnten, gesprochen, und sie hatte sich eine große schwarze zaiton in den Mund gesteckt, eine Olive.
Als nach dem Bürgerkrieg und der israelischen Besetzung das Leben nach Beirut zurückgekehrt war, hatte das Agentennetz der PLO in Trümmern gelegen. Sie selbst konnte nur besuchsweise mit dem Flugzeug aus Tunis kommen, und diese Besuche endeten in nachrichtendienstlicher Hinsicht immer enttäuschend. Meist kehrte sie mit schlecht untermauerten Spekulationen zurück, und zudem wurden alle »Tunesier« misstrauisch beäugt, selbst die aufopferungsvollsten, die nach dem zweiten Exodus der PLO verdeckt geblieben waren. Während des Schwarzen Septembers Ende der Sechzigerjahre hatte König Hussein sie aus Jordanien vertrieben. In den Achtzigern wurden sie vom libanesischen Bürgerkrieg und Israel aus dem Libanon vertrieben und mussten Zuflucht in Tunis nehmen.
Um dem Geheimdienst in Beirut neues Leben einzuhauchen, brauchte sie einen neuen Deckmantel, das stand fest. Am besten irgendein Geschäft, mit Vorliebe gewinnbringend, auch wenn das nicht immer möglich war. Jedenfalls sollten Leute ein- und ausgehen können, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.
In Bourj al-Barajneh, dem größten palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon, fand sie Khadija und Leila, die ihr wie geschaffen für die Aufgabe vorkamen. Da sie beide PFLP-Mitglieder waren, also marxistisch-leninistisch eingestellt, gottbewahre, waren sie natürlich harte Mädels. Aber in den Flüchtlingslagern leisteten sie damals das, was inzwischen die Hamas übernommen hatte. Beide waren ausgebildete Krankenschwestern, und Khadija war zudem im kleinen Restaurant ihres Vaters aufgewachsen und konnte zumindest notdürftig kochen.
Sie stellte ihnen ein Lokal in der Hamra Street zur Verfügung, wo sie ein kleines Café für Intellektuelle eröffneten, das auf den unscheinbaren Namen Zaiton hörte. Dass beide gut aussahen, schlagfertig waren und sich von allen Frömmeleien und jeglicher traditioneller Schüchternheit befreit hatten, waren weitere Vorteile. Sogar den perfekten Rausschmeißer hatten sie in Form von Khadijas Ehemann Mohammed im Gepäck, ein hartgesottener Kerl, den Mouna noch aus ihrer aktiven Zeit als Kompaniechefin kannte.
Das Café Zaiton war sogar in kommerzieller Hinsicht ein Erfolg. Bald hatte sich der neue Geheimtipp unter Intellektuellen herumgesprochen, was vor allem den beiden Wirtinnen zu verdanken war, die mit jedem ein marxistisches Palaver abhalten konnten. Einige Jahre lang war das Zaiton ein perfekter Treffpunkt. Noch eine Operation russischen Stils, die ausgezeichnet funktioniert hatte.
Irgendwann nahm der geschäftliche Erfolg ungeahnte Ausmaße an, und sie eröffneten ein weiteres Restaurant für Feinschmecker, das angeblich beinahe einen Michelinstern bekommen hätte. So begann der Ausstieg. Schließlich durften die beiden Frauen ihre Schulden an die PLO zurückzahlen und ihr eigenes Leben in Saus und Braus führen. Mohammed war leider von den Israelis erschossen worden. Den Grund hatte man nie erfahren. Vermutlich war es eine Verwechslung gewesen, die Israelis handhabten ihre sogenannten gezielten Hinrichtungen manchmal ein wenig schlampig.
Und Leila hatte sich aus Gründen, die man nicht zu vertiefen brauchte, von ihrem versoffenen Mann getrennt.
Leila und Khadija, die einstigen Krankenschwestern in den von der PFLP geführten Flüchtlingslagern, hatten sich in erfolgreiche Gastronomie-Unternehmerinnen verwandelt. So etwas kam vor, sie waren
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