Coq Rouge
äußerst geschickt ausgedacht. Er hatte unter anderem die verschiedenen Korridore des Ramleh-Gefängnisses exakt beschrieben, richtig angegeben, welcher Häftling in welcher Zelle saß, und so weiter. Er gab an, ein halbes Jahr in Zelle vierzehn gesessen zu haben.
Und die von ihm genannten Zellengenossen saßen auch tatsächlich dort.
Vor allem Abdul Hassan Latif. Abdul Hassan Latif war jedoch nicht unter der Folter zusammengebrochen, hatte nie gestanden und war nur aufgrund von Vermutungen, welchem Verband er angehörte, verurteilt worden. Und jetzt hatte der israelische Agent genau die Geschichte von Abdul Hassan Latif als Al-Fatah-Mann erzählt, wie sie in den Augen der Israelis aussah.
Der Israeli sagte außerdem, Abdul Hassan Latif habe ihm all dies in Zelle Nummer vierzehn im Vertrauen mitgeteilt.
Abdul Hassan Latif gehörte jedoch der PFLP, einer völlig anderen Gruppe und einem völlig anderen Verband an, als die Israelis geglaubt hatten. Er war außerdem einer der ältesten Kindheitsfreunde Ghassan Kanafanis. Er hätte diese israelische Theorie einem amerikanischen Zellengenossen aus mehreren Gründen nie anvertraut. Niemals.
»Seitdem habe ich mich immer gefragt, ob dieser Agent Kanafani eigentlich wiedererkannte und ob er begriff, wie das Ganze vor sich ging«, schloß Ponti seinen Bericht ab. »Aber jetzt höre ich von dir, daß diese Angelegenheit bei den Firmen im In und Ausland immer noch zu Spekulationen führt. Ja, die Israelis müssen sich schon gewundert haben, warum ihr Mann aufflog.«
Sie hatten inzwischen Atterbomsvägen erreicht, lehnten sich gegen eine Mauer und blickten auf die dunklen Wasserflächen und die Lichter der Essinge-Inseln und des Verkehrs auf der Essinge-Autobahn. Die Straße hinter ihnen war menschenleer.
»Was hast du anschließend mit dem Burschen gemacht?« fragte Carl in einem Tonfall, der sein gespanntes Interesse nicht verraten sollte.
»Ich brachte ihn zu einem Taxenstand an Norra Bantorget und sagte, er solle seinem guten Stern danken, daß er nicht in Beirut, sondern in Stockholm aufgeflogen war. Hier in Stockholm begnügten wir uns damit, israelische Agenten einfach wegzuschicken. Anschließend sagte ich ihm noch, wir würden uns wohl nie mehr wiedersehen.«
»Hast du ihn bedroht?« Ponti lachte auf.
»Ach so, hat er das in seinem Schlußbericht geschrieben?
Nun ja, er muß die Situation als etwas unangenehm empfunden haben. Und Operateure, die im Feld versagen, müssen sich ja immer irgendwie erklären. Wenn Kanafani an dem Abend aber nicht zufällig in der Stadt gewesen wäre, hätte ich den Burschen nie erwischt. Er war wirklich ein Profi. Und es war eine sehr gut vorbereitete Operation. Kennst du die Vorgeschichte?« Carl nickte. Er hatte den Kopf voller Folgefragen, um seinen eigenen Kontrollapparat in Gang setzen zu können. (Wie hieß diese Frau bei Dagens Nyheter? Kann sie bezeugen, daß Kanafani damals in Stockholm war? Weiß noch jemand von der Geschichte? Wie lange Zeit danach wurde Kanafani ermordet? Er wurde doch in seinem Wagen in Beirut in die Luft gesprengt?
Waren es die Israelis? Kann es einen Zusammenhang geben?) Carl entschloß sich aber, auf solche Kontrollfragen zu verzichten. Die Geschichte mußte wahr sein, weil sie so vollkommen logisch war, weil sie tatsächlich etwas erklärte, was kein Analytiker der verschiedenen Sicherheitsdienste hatte erklären können. Genau so mußte es zugegangen sein, als der israelische Undercover-Agent Ben Tevel entlarvt wurde.
»Teufel auch«, sagte Carl nach einer Weile, »aber diese Geschichte hat ewig dagelegen und an uns genagt, weil kein Mensch eine Erklärung finden konnte.«
»Was meine Gefährlichkeit und so weiter beweist?«
»Ja, etwa so.«
Sie gingen schweigend weiter. Carl konnte sich nicht mehr konzentrieren, weil ihm widersprüchliche Gedanken durch den Kopf gingen. Wie man es auch betrachtete, die Situation war absurd. Wenn Ponti nun in all diesen Jahren als hochgradig verdächtig eingestuft wurde, nur weil niemand Erklärungen für Dinge wie diese Tevel-Geschichte gefunden hatte, lag es daran, daß man mehr auf geheime Telefonüberwachung vertraute als auf die Möglichkeit, einfach hinzugehen und zu fragen. Oder bin ich selbst naiv, dachte Carl, weil ich auch jetzt noch wie in früheren Jahren davon ausgehe, daß die Menschen die Wahrheit sagen, weil es häßlich ist zu lügen?
Nein, die Vernunft sagte ihm ja auch einiges, und Pontis Erklärung der Norwegen-Reise würde sich bis
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