Coq Rouge
hinunter, bis sie an eine Tür mit neuen Sandsäcken und neuen Wachtposten kamen, durch die Carl vorhin offenbar hereingekommen war.
Der Mann, der sich Michel nannte, sagte etwas auf arabisch zu den Wachtposten und ging dann allein mit Carl die Treppe hinunter. Die dunkle Brille schien nicht mehr nötig zu sein. Sie gingen vorsichtig über den Unrat und das Baumaterial vor dem halbfertigen Hochhaus, in dem das Treffen stattgefunden hatte, und kamen bei einem wartenden Wagen an, den sie auf je einer Seite umrundeten und sich dann auf den Rücksitz setzten. Der Fahrer fuhr los, ohne Anweisung erhalten zu haben, wohin die Fahrt gehen sollte. Sie fuhren wieder in die Innenstadt Beiruts.
»Ich heiße Husseini, Rashid Husseini«, sagte der Mann, der sich Michel genannt hatte, und reichte Carl die Hand. »Deine Kleidung und die übrigen Dinge sind in deinem Hotelzimmer, und wir werden dich einen Häuserblock entfernt absetzen. Ich habe mir die Freiheit genommen, für dich einen Platz in einer Maschine zu buchen, die morgen nachmittag fliegt. Du findest das Ticket mit einer bestätigten Buchung im Hotelzimmer. Wollen wir morgen mittag noch zusammen essen, bevor du abfliegst?«
»Sehr gern«, erwiderte Carl.
»Mouna wird dich kurz vor eins abholen. Bring unsere Sachen mit: Fleisch oder Fisch und Schalentiere?«
»Fisch und Schalentiere wären mir recht«, erwiderte Carl. Eine Viertelstunde später betrat Carl das Hotel und bekam seinen Schlüssel mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre er nur zu einem kurzen Spaziergang außer Haus gewesen. Man hatte ihm sogar sein altes Zimmer gegeben.
Er duschte, wusch sich die Haare und rasierte sich. Auf dem Nachttisch stand seine noch immer ungeöffnete Flasche Whisky aus dem Flugzeug, sogar genauso mit dem Etikett nach innen gedreht, wie er sie ursprünglich hingestellt hatte. Seine Unterwäsche und die Hemden lagen in der Reisetasche, und die Dokumente aus der Computerbranche waren so im Zimmer verteilt, wie er sie zurückgelassen hatte.
Im Kleiderschrank hingen sein Anzug und sein Mantel. Nichts fehlte. Carl ging mit einem Handtuch um die Hüften durch das Zimmer und versuchte sich vorzustellen, wie sie es fertiggebracht hatten, das Zimmer genauso wiederherzurichten, wie er es hinterlassen hatte. Vielleicht sollte man mit einer Polaroid-Kamera alles aufnehmen, bevor man Dinge wegnimmt?
Carl brach das Siegel der Whiskyflasche und goß sich ein großes Zahnputzglas voll. Er legte sich mit der Mappe, die Abu al-Houl ihm gegeben hatte, aufs Bett. Die Angaben über die syrische Geschichte der Tokarew-Pistole bis zur Gefangennahme des syrischen Majors waren maschinegeschrieben und umfaßten eine knappe Seite.
Das übrige Material bestand aus einer längeren Operationsanalyse, die offenbar aus den Tiefen irgendeines Archivs stammte; sie rekapitulierte die israelische Aktion von 1973 in Lillehammer. Beigeheftet waren einige Anlagen mit Schlußfolgerungen. Das Material erschien Carl weder sonderlich erhellend noch spannend. Es kam ihm zwar eigentümlich vor, daß diese Aktion jetzt wieder in den Köpfen herumgeisterte, denn ähnliches Material lag ja auch in den Stockholmer Archiven. Es würde aber interessant sein zu erfahren, was die Gegenseite über die Aktion zu sagen hatte. Die Analyse des palästinensischen Nachrichtendienstes begann mit einer kurzen Rekapitulation des Verlaufs.
Am 21. Juli 1973 um 22.40 Uhr steigt der marokkanische Staatsbürger Ahmed Bouchiki zusammen mit seiner Ehefrau bei Furubacken außerhalb von Lillehammer aus dem Bus. Er und seine Frau, die übrigens im neunten Monat ist, gehen in Richtung ihrer Wohnung. Sie werden von einem hellen Mietwagen der Marke Mazda überholt, der keine gefälschten Kennzeichen trägt. Zwei Männer steigen aus und gehen dem Paar entgegen. Als sie kurz vor den beiden stehen, ziehen sie je eine Pistole und bitten die Frau, aus dem Weg zu gehen. Dann feuern sie einige Schüsse auf Bouchiki ab, der zu Boden stürzt. Darauf stellen sie sich über ihn und geben aus nächster Nähe insgesamt vierzehn Schüsse auf ihn ab. Sämtliche Schüsse bis auf einen sind lebensgefährliche oder sofort tödliche Treffer.
Dann werfen sich die beiden Männer in ihren Wagen und verschwinden.
Soweit der eigentliche Mord.
Da die beiden israelischen Agenten fähige Offiziere der Mossad-Abteilung für special operations sind, genauer der Abteilung, die den Namen »Gottes Rache« trägt, ist dieses Vorgehen etwas merkwürdig. Die Zahl der
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