Coq Rouge
Zeit um 1920 sei ja, daß die frühen Gemälde eine recht spannende Ambivalenz des Munchschen Frauenbildes verrieten; die Frau sei, wie eines der Gemälde sehr richtig heiße, ein »Vampir«, das heißt Verführerin, böse und eine Versuchung. Das Bild aus den zwanziger Jahren sei demgegenüber fast eine harmonische bürgerliche Idylle. Nun, das gehöre strenggenommen nicht zur Sache.
Interessant seien natürlich der demonstrative Abstecher zum Polizeihaus und noch deutlicher die kaum versteckten Hinweise im weiteren Verhalten des Verdächtigen. Er habe Hestenes zugewinkt und Atlefjord mit der Zeitschrift Verdens Gang eine Nachricht zukommen lassen.
Was das Vorhaben des Mannes betreffe, könne man nur feststellen, daß Anfang Dezember niemand auf eigene Kosten per Euroclass nach Oslo fliege, nur um Strohblumen und eine Kupferkasserolle zu kaufen. Da liege die entscheidende, unbeantwortete Frage.
Es bleibe die rein praktische Frage, wie, wann und warum der Mann entdeckt habe, daß man ihn verfolge. Der erste sichere Hinweis darauf sei also von Hestenes gekommen, dem Neuen in der Abteilung. Nun, wie ist es zugegangen?
Es wurde still im Raum. Die sieben Männer sahen Hestenes an, der einen unsichtbaren Ring auf die Tischplatte malte und sich räusperte, bevor er zu antworten versuchte.
Diese Frage sei gar nicht leicht zu beantworten. Der Verdächtige habe sich wie ein x-beliebiger Tourist verhalten. Sein Auftreten sei nicht verdächtig gewesen, er habe sich nicht umgesehen, jedenfalls nicht erkennbar. Wenn er, Hestenes, aber ehrlich sein wolle, müsse er zugeben, daß es nach einer Weile wie ein Spiel gewesen sei. Erst dieses Zuprosten im Glasmagasinet.
Und dann habe der Mann in der Telefonzelle sogar gewinkt. Atlefjord hatte etwa die gleichen Erlebnisse zu vermelden.
Was ihn betraf, hatte das Ganze ja sogar mit einer Art scherzhaftem Hinweis auf das denkbare Terroristenziel geendet, mit dieser Zeitung, in der der Name des Hotels im Text unterstrichen worden sei.
Einer der Kollegen vom Erkennungsdienst betrat den Raum und legte Mathiesen ein Papier auf den Tisch. Dieser brauchte nur zehn oder fünfzehn Sekunden zu lesen. Dann lächelte er.
»Also schön. Dieser Bericht kommt kaum überraschend. Den Technikern zufolge befindet sich im Hotelzimmer nicht eine interessante Spur. Soweit sich beurteilen läßt, hat sich außer ihm niemand dort aufgehalten. Alle Flächen sind sorgfältig abgewischt, zu welchem Zweck auch immer. Er mußte doch wissen, daß wir seine Fingerabdrücke schon von der schwedischen Polizei haben. Im Bett nicht einmal ein Haar. Sogar die Zahnputzgläser waren abgewischt. Nun, welche Schlußfolgerungen haben wir daraus zu ziehen?«
Es gab nicht sehr viele Schlußfolgerungen, dagegen eine Arbeitshypothese.
Ein Terrorist war in die Stadt gekommen, um vor einer eventuellen Aktion gegen eine Gruppe israelischer Politiker im Hotel Nobel das Gelände zu sondieren. Aber nachdem er entdeckt hatte, daß man ihn beobachtete, habe er seine Aktion abgeblasen, seinen Überwachern höflich auf Wiedersehen gesagt und das Land verlassen. Das war alles.
Die Kollegen in Stockholm waren aus irgendeinem Grund aufgeregt und wünschten einen ausführlichen Bericht. Polizeifahnder Larsen erhielt den Auftrag, die Berichte der einzelnen Beamten zusammenzufassen und am nächsten Tag einen Gesamtbericht abzuliefern. Die Überwachung des Hotels lief mit verkleinerter Mannschaft weiter.
Mathiesen stand auf, und die anderen gingen zur Tür. In diesem Moment rief er Hestenes zurück. Er nahm seine goldgeränderte Brille ab und ließ sie auf seinem ausgestreckten Zeigefinger pendeln, während er sich in einen der Sessel hinten am Fenster setzte.
Draußen war es dunkel geworden. Die Schwärze des Fjords schnitt wie ein Keil in das glitzernde Eicht auf beiden Seiten hinein. Roar Hestenes hatte sich wieder an den Konferenztisch gesetzt und betrachtete die braune, polierte Tischplatte. Der Tisch wirkte wie ein typischer, altmodischer norwegischer Wohnzimmertisch. Merkwürdig, dachte Hestenes, es ist, als wären wir immer noch ein Volk von Fischern und Bauern.
»Nun«, sagte Mathiesen schließlich von seinem Sessel aus, ohne den Blick von seiner Brille zu wenden, die er immer noch auf dem Zeigefinger balancierte. »Nun, was hast du für ein Gefühl?«
»Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll«, erwiderte Hestenes wahrheitsgemäß.
»Ich meine es so: Fühlst du dich verarscht?«
»Ja, das kann ich nicht leugnen. Es
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