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Coq Rouge

Coq Rouge

Titel: Coq Rouge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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reicht’s aber, verdammt noch mal, sagte er sich, ging ins Badezimmer und stellte die Dusche auf Kalt.
    Er keuchte unter dem Wasserstrahl. Er hatte kaltes Wasser schon immer verabscheut, zwang sich aber, ruhig stehenzubleiben, als wäre es eine Strafe, was es strenggenommen auch war. Jetzt muß endlich Schluß sein mit diesen Dummheiten.
    Er stieg aus der Dusche und strich sich mit beiden Handflächen das Haar zurück, trat vor den Badezimmerspiegel und betrachtete kurz seine leicht blutunterlaufenen Augen. Zum erstenmal in seinem neunundzwanzigjährigen Leben machte ihn sein eigener Anblick entschieden mißvergnügt.
    Er rasierte sich ruhig, sorgfältig und besonders lange. Dann ging er ins Wohnzimmer, stellte sich nackt mitten auf den Fußboden und sah sich um.
    Sein Körper hatte schon zu trocknen begonnen, aber es tropfte noch immer auf das dunkle Eichenparkett. Was er um sich herum sah, bekräftigte ihn nur in seiner stillschweigenden Abmachung mit sich selbst, in gewisser Hinsicht ganz entschieden die Lebensführung zu ändern. Es roch nach Rauch, nach verbrauchter Luft und nach Parfüm. Unter Aschenbechern und Weingläsern auf dem Couchtisch neben ihm fand er eine mit Lippenstift geschriebene verschmierte Nachricht. Er las sie nicht; das unbeholfen gemalte Herz, das die Nachricht abschloß, genügte ihm. Da stand, sie müsse früh gehen, um ihr Kind im Heim abzugeben, was offenbar bei vielen schwedischen Müttern der Fall war. Wie schön, daß sie gegangen war.
    Er überlegte, ob er die Wohnung jetzt sofort und ein für allemal aufräumen sollte, aber dann ging ihm auf, daß er sich schon jetzt verspätet hatte. Er ging zum Fenster und öffnete es. Die feuchte Kühle hüllte ihn sofort in eine weitere ernüchternde Strafe ein. Es schneite. Schwere, nasse, große Flocken, und direkt unter ihm lag schon eine mehrere Zentimeter dicke Schicht auf Sankt Georg und dem Drachen.
    Etwa eine Viertelmillion Einwohner Stockholms sind alleinstehende Männer. Unter ihnen würde es kaum einen geben, der Carl Hamilton nicht um seine Wohnung in Gamla Stan, der Altstadt, mit Sankt Georg und dem Drachen unter dem Fenster und der herrlichen Aussicht auf Hausdächer und das Wasser des Strömmen beneiden würde.
    Überhaupt hätten die meisten Männer Carl Hamilton beneiden können.
    Erstens war er reich. Außerdem war er auf besonders bequeme Art reich geworden. Vor sieben Jahren, bevor er ins Ausland gegangen war, hatte er Aktien im Wert einer guten halben Million geerbt. Er hatte einen Schulfreund, der bei der Börsenmaklerfirma Jacobson & Ponsbach so etwas wie ein Lehrling war, gebeten, sich um die Papiere zu kümmern, was dieser mit Nachdruck getan hatte und zwar genau in jenen fünf Jahren, in denen die Aktienkurse an der Stockholmer Börse wie Raketen stiegen, Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Er selbst hatte sich nicht näher dafür interessiert, aber bei der Heimkehr entdeckte er, daß er mehrfacher Aktien-Millionär geworden war. Aber da er schon immer eine Abneigung gegen Aktien und Spekulationsgewinne gehabt hatte, verkaufte er sofort und verwandelte das Geld in Staatsanleihen und ein paar Immobilien. Und jetzt, ein paar Jahre später, stellte sich heraus, daß er gerade rechtzeitig verkauft hatte, bevor die Aktienkurse in den Keller gingen. Dafür waren die Immobilienpreise in die Höhe geschossen. So war er noch einmal mehrfacher Millionär geworden und wohnte daher so, wie er wohnte.
    Außerdem war er ein ziemlich gutaussehender Mann, ehemaliger Handballspieler, ehemaliger Quarterback in einer amerikanischen Football-Universitätsmannschaft und überdies mit einem Grafentitel versehen, mit einer vollständigen Ausbildung in allen Regeln der Etikette, guten Manieren also, war Reserveleutnant der Marine und er hatte einen MA in Staatswissenschaft und elektronischer Datenverarbeitung von der University of Southern California; nach dem Ableben des Radikalismus der sechziger und siebziger Jahre und nach den Wertvorstellungen der neuen Zeit konnte man ihn ohne jede Ironie als einen Offizier und Gentleman bezeichnen. Er teilte diese Wertvorstellungen zwar nicht, auch wenn die fünf seltsamen Jahre in den USA sämtliche Voraussetzungen seines Lebens verändert hatten.
    Dennoch hatte er sein Leben noch nie für so verfehlt gehalten wie jetzt, als er in seinem Wohnzimmer stand und durch die Dunkelheit auf das Wasser des Strömmen blickte, zu einem hell erleuchteten Schiff in der Ferne, falls

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