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Coq Rouge

Coq Rouge

Titel: Coq Rouge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Carl seine ganze Ausbildungszeit in San Diego auf die vorgeschriebenen drei Jahre an der Seekriegsschule angerechnet bekommen. Man brauche nur ein wenig zu schummeln. Also, Carl werde mit einer Universitätsausbildung und gleichzeitig mit dem Patent eines Reserveoffiziers nach Hause zurückkehren. Außerdem habe er ja noch immer die Möglichkeit abzuspringen. Man könne niemanden zum Nachrichtendienst zwingen, jedenfalls nicht in Schweden. Man könne jedoch bestimmte Angebote machen. Die endgültige Entscheidung brauche zudem erst in fünf Jahren zu fallen.
    Das Angebot schien glänzend. Was die mehr als vierjährige Ausbildung zu einem field operator eigentlich bedeutete, davon hatte Carl nichts weiter als filmromantische Phantasievorstellungen. Auf schwedisch hörte sich das in den Worten des Alten völlig unschuldig an: »Operateur«.
    Es war eine stark geschönte Umschreibung.
    Fünf Jahre lang und zu Kosten von gewiß ein paar Millionen hatte Carl zwischen einem gewöhnlichen Studentenleben von ein paar Tagen pro Woche und einem geheimen Leben in San Diego hin und hergependelt und eine umfassende Ausbildung bekommen: Wohnungseinbrüche, Einbrüche in Autos, Verfolgung mit Auto, Verfolgung ohne Auto, Lauschoperationen, Fotografieren mit Teleobjektiven, Tarnung und Maskierung, Funker-Ausbildung, Austausch von Mitteilungen, Sabotage, angefangen beim Sprengen von Automobilen bis hin zu der Kunst, ganze Kraftwerke auszuschalten, Ausbildung im Umgang mit osteuropäischen Handfeuerwaffen, mit westeuropäischen, israelischen und amerikanischen Handfeuerwaffen, mit Gewehren, automatischen Karabinern, Granatwerfern, dem Granatengewehr RPG, Infrarot-Zielfernrohren, Ausbildung im Häusernahkampf, Nahkampf im Gelände, Nahkampf im Dunkeln mit und ohne Feuerwaffen oder mit Messern, und all dies immer und immer wieder, vorwärts und rückwärts, und das Ganze fünf Jahre lang; kurz, eine gediegene Grundausbildung in allem, nur nicht im Zögern und in christlicher Ethik ideal für einen field operator.
    Außenstehenden hatte er nie etwas davon erzählt, nicht nur, weil dies alles natürlich mit strengster Geheimhaltung belegt war und weil man ihn als Ausländer besonders ermahnt hatte, keinen Skandal auf sich zu ziehen und der Ausbildungseinheit keine Schande zu machen, sondern vielleicht eher, weil er abgesehen von den reinen Schießübungen so etwas wie ambivalente Scham empfand.
    Er war ja einmal Sportler gewesen; vielleicht hatten seine Gefühle etwas mit diesem Hintergrund zu tun. Als er zum erstenmal nach San Diego kam, bestand seine körperliche Identität darin, daß er Marinetaucher der schwedischen Marine war, was völlig normal und anständig ist, und daß er zudem ein Handballspieler war, der in einer Mannschaft der höchsten schwedischen Spielklasse spielte. Handball ist ein hartes Spiel mit viel Körperkontakt, mit harten Zusammenstößen und einem gelegentlich intensiven Kampf mit einem fließenden Regelsystem, bei dem das Kriminalitätsniveau von Spiel zu Spiel ein wenig verschoben wird, je nachdem, was auf dem Spiel steht oder wer gerade Schiedsrichter ist. Es ist jedoch ein Spiel ebenbürtiger Gegner, und man kann nicht mogeln.
    Der größte Teil der Ausbildung eines field operator ist in sportlicher Hinsicht jedoch Mogelei. Die Gegner haben selten auch nur die kleinste Chance.
    Während die fünf Jahre in San Diego in Carl für den Rest seines Lebens Spuren hinterließen, während jedes Detail all dieser Regelverstöße so eingeübt worden war, daß es zu einem automatischen Reflex wurde, versuchte er gleichzeitig, alles aus seinem Bewußtsein zu verdrängen.
    Gelegentlich trieben die Erinnerungsbilder wie stumme Eisschollen vorüber.
    Er hatte nie jemandem etwas erzählt. Er war unerschütterlich loyal gewesen.
    Und jetzt konnte man dennoch der Meinung sein, alles sei vergeudete Zeit gewesen. Denn bei seiner Heimkehr nach Schweden wartete kein Posten in dem neuen Nachrichtendienst auf ihn, sondern etwas, was der Alte entschuldigend »vorläufigen Dienst in Erwartung neuer Richtlinien« nannte, was im großen und ganzen ein Warten auf neue politische Komplikationen bedeutete. Erst hatte die neue bürgerliche Regierung mit dem jungen waffenverrückten Staatssekretär der Konservativen an der Spitze den Nachrichtendienst militarisiert, dann hatte die nachfolgende sozialdemokratische Regierung in hartem Kampf mit der Gewerkschaft in den Streitkräften versuchsweise Umbesetzungen vorgenommen, die jedoch

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