Coq Rouge
wurden Strümpfe noch gestopft, dachte er.
Neben ihm stand eine fast leergetrunkene Flasche Misket Karlovo, und er fühlte sich leicht betrunken. Bulgarischer Wein, damit bin ich beinahe schon ein Sicherheitsrisiko, flatterten seine Gedanken weiter. Das abendliche Fernsehprogramm war fast zu Ende, es lief der letzte Teil eines langwierigen Liebesabenteuers in Australien, bei dem die Heldin erst von Krokodilen angefressen wurde, dann nach plastischen Operationen als Fotomodell Karriere machte und schließlich auf die große Ranch zurückkehrte, um ihre furchtbaren Rachepläne zu verwirklichen und sich dabei in einen anderen zu verlieben, oder wie auch immer. Frau Appeltoft war hart geblieben; sie hatte die früheren Folgen gesehen.
Sie hatten ein wenig über das kommende Weihnachtsfest gesprochen, ob man es in der gemeinsamen Kindheitslandschaft Hälsinglands verbringen wolle, ob es möglich sei, das Häuschen mitten im Winter warm zu bekommen, ob sich das jüngste Enkelkind erkälten werde, das heißt, falls es gelingen sollte, die Tochter und deren Mann zum Mitkommen zu überreden.
Sie ließen ja so gut wie nie von sich hören. Es hatte den Anschein, als wollten sie Weihnachten allein feiern, obwohl sie es nicht offen sagten.
Seine Tochter war siebenundzwanzig, arbeitete als Apothekenhelferin und wählte vermutlich die Kommunisten; sie war der Meinung, die Polizei im allgemeinen und die Säpo im besonderen seien die Repressionsinstrumente des Kapitals, um die Arbeiterklasse in Knechtschaft zu halten, und so weiter.
Aber sogar in der Firma gab es ja neuerdings Kommunisten. Appeltoft fiel es schwer, die Vorstellung zu akzeptieren, daß dieser Hamilton, der ja außerdem aus der oberen Oberklasse stammte, Kommunist war oder zumindest gewesen war. Neuerdings warf man Strümpfe mit Löchern weg, und Kommunisten durften in der Firma arbeiten.
Er dachte wieder an seine Tochter, und dabei wurde ihm noch düsterer und unbehaglicher zumute. Als er sich den Rest des Weins eingoß, vergoß er etwas und warf seiner Frau einen unruhigen Seitenblick zu, aber sie hatte nur Augen für den Fernseher. Seine Melancholie hatte einen besonderen Grund, und der hatte etwas mit seiner Tochter zu tun.
Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, die Akten über diesen Ponti mit nach Hause zu nehmen, das war viel zuviel Material. Aber die vier jungen Leute in Hagersten, die wohl nicht mehr allzu lange in Freiheit bleiben würden, hatte er im Laufe des Abends studiert. Über die gab es nicht viele Unterlagen.
Am wichtigsten war natürlich Anneliese Ryden. Sie war das Bindeglied zwischen Folkesson und den anderen Palästina-Aktivisten. Sie hätte man zu einem stillen Gespräch bitten sollen, statt sich auf das einzulassen, was jetzt geschehen würde.
Sie war dreiundzwanzig Jahre alt. Sie hatte sich offenbar vor zwei Jahren den Palästina-Gruppen angeschlossen, als sie den vier Jahre älteren Nils Gustaf Sund kennenlernte, der ein längeres und belastenderes Verhältnis zum Nahen Osten hatte. Sie war aber noch nicht einmal dort gewesen. Sie hatte schon auf dem Gymnasium einige Krankenpflegekurse belegt, eine Ausbildung an einer Schwesternschule begonnen, die sie dann abgebrochen hatte. Danach hatte sie ein Jahr bei ihrer Mutter im Kurzwarenladen an Sibyllegatan gearbeitet.
Zwei Stockwerke über ihr und ihrem Freund wohnte Petra Hernberg. Die Sechsundzwanzigjährige arbeitete - und dies war die Ursache für Appeltofts Melancholie - als Apothekenhelferin in der wunderschönen Jugendstil-Apotheke Eigen (»Der Elch«) an der Kreuzung Engelbrektsgatan und Karlavägen. Sie hatte zwei Jahre im Vorstand der Palästina-Gruppe in Stockholm gesessen, aber am belastendsten war, daß sie sich »aus unbekanntem Anlaß« ein ganzes Jahr in Beirut aufgehalten hatte. Sie hatte früher dem Jugendverband der Kommunistischen Partei angehört, war aber ausgetreten und gehörte jetzt irgendeiner linken Extremistengruppe an oder sympathisierte mit ihr.
Ihr Verlobter oder vielleicht auch Mann, obwohl junge Leute dieser Art ja lieber nur zusammenziehen, statt zu heiraten, war das interessanteste Gruppenmitglied. Er hieß Anders Hedlund, war einunddreißig Jahre alt, Veteran der Palästina-Bewegung, hatte sich zur gleichen Zeit wie Petra Hernberg drei Monate in Beirut aufgehalten - vielleicht haben sie sich dort kennengelernt, dachte Appeltoft -, und auch er war »aus unbekanntem Anlaß« in Beirut gewesen. Aber außerdem hatte er in der Bundesrepublik an einer Art
Weitere Kostenlose Bücher