Cora - MyLady 329 - Barbour, Anne - Die geheimnisvolle Schöne
können, ohne den Kniefall durchführen zu müssen, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass meine Tante sich sogar einer geladenen Pistole bedient hätte, um mich zu nötigen, mit Corisande in einem Raum allein zu sein, und dann wäre mir nichts anderes übrig geblieben.« Wieder seufzte Christopher. »Ich habe eine Nachricht hinterlassen, gebe jedoch freimütig zu, dass mein Benehmen in dieser ganzen Sache unverzeihlich ist.«
Gillian war in Gedanken. Der Earl kam ihr nicht wie jemand vor, der sich den kritischen Situationen in seinem Leben nicht stellen konnte. Nachdenklich starrte sie ihn einen Moment lang an, ehe sie einlenkend sagte: »Aber vielleicht begreiflich.«
Christopher schwieg einen Moment und sagte dann:
»Doch genug von mir und meinen Sorgen, Miss Tate. Ich glaube, nun ist es an Ihnen, Ihre Geheimnisse preiszugeben. Erzählen Sie mir, warum eine junge Frau von Ihrer unleugbaren Schönheit, Ihrem Charme, Ihrer Intelligenz und so weiter sich dafür entschieden hat, die Gesellschaft von Männern zu meiden und in ihrem Herzen ein Denkmal für eine verlorene Liebe zu errichten. Vier Jahre sind gewiss eine sehr lange Zeit, um Ihren Verlobten zu beweinen, ganz gleich, wie stark Ihre Gefühle für ihn damals gewesen sein mögen.«
Das brachte Gillian endlich zum Schweigen. Sie fühlte sich plötzlich, als würde der Boden unter ihr nachgeben.
Sie öffnete den Mund, fand sich jedoch außerstande, eine Antwort auf Lord Cordrays Frage zu geben. Wie konnte er wagen, an die Wunde zu rühren, die sich noch immer in ihrem Herzen befand? Gewiss, mit ihren Fragen hatte sie die Grenzen des Schicklichen weit überschritten, aber das jetzt war zu viel.
»Es tut mir Leid, Mylord«, erwiderte sie frostig. »Das steht nicht zur Diskussion. Das, was Sie ein Denkmal für eine verlorene Liebe nannten… ich erlaube mir übrigens, Ihnen zu sagen, dass Ihre Formulierung über die Maßen gefühllos ist… ist für mich eine viel zu kostbare Erinnerung, um sie zu verdrängen.«
Das Wissen, dass sie Kenneth getötet hatte, traf sie wieder mit voller Wucht, und ihr war klar, sie würde für immer darunter leiden.
»Ich entschuldige mich.« Die Stimme des Earl klang erstaunt. »Ich wollte nicht…«
»Oh, sehen Sie!« rief Gillian plötzlich voller Erleichterung. »Wir sind zu Haus.«
Sie wies auf die Silhouette von Rose Cottage, die rechter Hand zu erkennen war.
»Aber…«, begann Christopher. »Ja, wir sind da«, fügte er resigniert hinzu.
»Ich denke, dass wir uns jetzt trennen sollten«, äußerte sie hastig. »Ich komme in den Stall, ohne nennenswerten Lärm zu machen, aber ich glaube, wenn wir beide das versuchten, hieße es, das Glück herauszufordern.«
Ohne darauf zu warten, dass Lord Cordray absaß, schwang sie sich aus dem Sattel. Sie schaute zum Earl hoch und rang sich zu einem gequälten Lächeln durch. »Ich kann nicht behaupten, dass ich froh bin, Sie heute Nacht getroffen zu haben, Mylord, aber ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung und Ihre… Ihre Diskretion. Natürlich ganz zu schweigen von Ihrem Versprechen zukünftiger Zusammenarbeit.«
»Ich hingegen betrachte diesen Abend als einen der interessantesten und angenehmsten, die ich je verbracht habe«, murmelte Christopher. »Ich werde morgen Mr.
Neville im Magdalene College aufsuchen, und wenn alles klappt, sehe ich Sie am Nachmittag. Schlafen Sie gut, Gillian.«
Er berührte die Hutkrempe und wendete Zeus. Einen Moment später war er verschwunden. Gillian starrte ihm in der Dunkelheit hinterher.
Am nächsten Vormittag ritt Christopher nach Cambridge. Lächelnd schaute er auf die Stelle am Flussufer, wo er Miss Tate bei ihrem nächtlichen Ausflug aufgehalten hatte, und ritt dann gemächlich durch das Eingangstor des Magdalene College. Von dort wurde er zu Mr. George Neville, dem jungen Rektor, geführt und mit gebührendem Respekt von diesem empfangen.
»Meinem Onkel geht es gut, Mylord, vielen Dank«, antwortete Neville auf die höfliche Nachfrage Christophers nach Lord Grenville. »Er ruht sich derzeit auf seinem Landsitz in Norwich aus. In der vergangenen Woche stürzte er von einem seiner Jagdpferde und verstauchte sich den Fuß.«
»Das tut mir Leid«, murmelte Christopher ernst. »Ihr Onkel und ich sind seit Ewigkeiten gute Freunde. Ich habe gehört, dass er in enger Verbindung mit dem College steht.«
»In der Tat«, erwiderte Mr. Neville mit entwaffnender Offenheit. »Ich habe es den guten Beziehungen meines Onkels zu verdanken,
Weitere Kostenlose Bücher