Cora - MyLady 329 - Barbour, Anne - Die geheimnisvolle Schöne
hoffnungsvoll schaute sie den Earl an.
»Dass ich tatsächlich die Ware herbringen würde? Nun, Madame Ungläubig, hier sind die Bände eins und zwei des berüchtigten Tagebuchs.« Mit schwungvoller Geste holte Christopher die Bücher aus der Satteltasche und händigte sie Miss Tate aus. »Ich glaube, es sind die, die Sir Henrys liebende Nichte gestern zurückbrachte.«
»Ja! O ja! Er wird begeistert sein, sie wiederzuhaben.
Kommen Sie, wagen wir uns in die Höhle des Löwen, wo sich der beleidigte Bewohner aufführt, als habe er eine wunde Pfote.«
Sir Henry war nicht begeistert. Er benahm sich wie ein leidender Literat, der endlich seinen ihm lange versagten Besitz durch die gerechte Vorsehung zurückerhielt. Er bekundete jedoch Interesse daran, wie die Bände in Lord Cordrays Besitz gelangt waren.
»Weißt du, Onkel«, sagte Gillian bedächtig und sehr deutlich, »die Bände sind nur geliehen. Du kannst sie eine Weile behalten, aber in einigen Tagen müssen sie zurückgebracht werden.«
»Ich bin ganz sicher«, warf Christopher hastig ein, »dass ich in der Lage sein werde, andere Bände Ihrer Wahl an ihrer Stelle zu entleihen.«
Damit schien Sir Henry zufrieden.
»In der Zwischenzeit muss ich Sie um Ihr Verständnis bitten, dass auch ich mir die Bücher ansehen möchte«, fuhr Christopher fort. »Wären Sie so nett, mich über Ihre Schulter sehen zu lassen, wenn Sie sie durchblättern? Ich verspreche Ihnen, dass ich mich bemühen werde, Sie nicht zu stören oder Ihnen ungelegene Fragen zu stellen.«
Sir Henry nahm einen der Bände an sich, die Lord Cordray auf den Schreibtisch gelegt hatte. »Schießen Sie los, mein Junge!« rief er aus. »Als Akademiker genieße ich die Gelegenheit, Fragen beantworten zu können und so mein staunenswertes Wissen in jedem nur denkbaren Bereich unter Beweis zu stellen.«
Nachdem Lord Cordray die Bände des Pepys-Tagebuches an Sir Henry übergeben hatte, nahm das Leben in Rose Cottage einen angenehmen Verlauf. Der alte Gelehrte verbrachte die Tage fast gänzlich in seinem Arbeitszimmer, wo er, von Bergen von Nachschlagewerken umgeben, die geheimnisvollen Symbole betrachtete, die auf jeder Seite standen. Die meisten der Nachschlagewerke enthielten Kodes und Methoden für die Entschlüsselung von Geheimschriften. Viele waren schon vor Jahrhunderten eingeführt und von Königen und Militärbefehlshabern, Finanzkünstlern, Liebhabern und sogar Schuljungen benutzt worden.
Zu Gillians Unbehagen wurden die Besuche des Earl zahlreicher, bis kaum noch ein Abend verging, an dem er nicht eingeladen war, ihnen beim Abendessen Gesellschaft zu leisten. Zumeist nahm er diese Einladungen an, und der Köchin wurde es zur Gewohnheit, ihn bei ihren täglichen Vorbereitungen für das Abendessen zu berücksichtigen. Der Regen, den es an den ersten Tagen von Christophers Landaufenthalt gegeben und der dann nachgelassen hatte, setzte wieder ein, mit dem Ergebnis, dass Christopher sich angewöhnte, auf den kurzen Ausflügen zum Cottage und wieder zurück Ölzeug zu tragen. Dennoch kam er meistens durchnässt und mit zerzaustem Haar an und gab Tante Louisa so die Möglichkeit, sich um ihn zu kümmern.
Gillian war eine deutliche Veränderung in seinem Verhalten ihr gegenüber aufgefallen. Von den routinierten Schmeicheleien und den viel sagenden Blicken war so gut wie keine Spur mehr vorhanden. Er behandelte sie jetzt mit der größten Höflichkeit. Nicht, dass er je grob zu ihr gewesen wäre, natürlich nicht, aber er schien in ihr eher eine Freundin denn eine mögliche Eroberung zu sehen. Natürlich war sie über diese Entwicklung der Dinge sehr erfreut. Sie hatte nicht den Wunsch, von jemandem wie dem Earl of Cordray als Objekt für eine Liebelei betrachtet zu werden, aber sie fragte sich, wodurch diese Veränderung herbeigeführt worden war.
Findet er mich nicht mehr begehrenswert? fragte sie sich etwas verstimmt und gänzlich unbegründet.
Erstaunt nahm sie sein wachsendes Interesse an den Pepys-Tagebüchern zur Kenntnis. Der junge John Smith, der Student aus dem St. John’s College, erschien ebenfalls häufig in Rose Cottage. Lebhafte Diskussionen unter den drei Herren über die Vorteile der einen oder anderen möglichen Übertragung wurden in Sir Henrys Arbeitszimmer zur Regel.
»Ich gebe zu«, sagte Christopher eines Abends im Salon, als er mit Miss Tate allein war, »dass die Offenheit, die Sir Henry Mr. Smith gegenüber bekundet, mich neugierig macht. Man sollte denken, dass er den
Weitere Kostenlose Bücher