Cora - MyLady 334 - Clay, Merilyn - Miss Tessa aus Amerika
gesamte Familie über politischen Ehrgeiz«, unterbrach Lord Penwyck, der Tessa immer noch scharf ansah.
Sie richtete ihre blauen Augen auf ihn und platzte ohne nachzudenken heraus: »Demnach billigen Sie es nicht, wenn Frauen sich mit Politik beschäftigen, Sir?«
Mr. Winslow lachte laut heraus. Als ihm aufging, dass er der Einzige war, der diese Vorstellung amüsant fand, kaschierte er seinen Ausbruch hastig mit einem Hustenanfall.
»Das tue ich in der Tat nicht, Miss Darby«, erklärte Lord Penwyck fest. »Der weibliche Geist ist nicht dazu gerüstet, politische Angelegenheiten zu verstehen. Eine junge Dame, die die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zieht, indem sie…«
»Wovon um alles in der Welt sprichst du denn, mein lieber Harrison?« unterbrach Lady Penwyck die Tirade ihres Sohns. Neugierig sah sie von der unerbittlichen Miene ihres Sohnes auf ihren nun sehr schmallippigen Gast.
Tessas Nasenflügel bebten vor Zorn, doch es gelang ihr, sich zu beherrschen und nichts mehr zu sagen.
Anscheinend war Penwyck wie ihr Stiefvater, der glaubte, dass der Leitspruch, Kinder sollten zu sehen, nicht aber zu hören sein, auch für Frauen gelte.
Aber, so rief sie sich schnell zur Ordnung, sie stand jetzt ja nicht mehr unter seiner Fuchtel, nicht war? Sie war nach England gekommen, um ihre Meinung zu äußern, und genau das würde sie auch tun.
»Zufällig interessiere ich mich sehr für Politik, Sir«, begann sie. »Ich bin mit den politischen Debatten im Haus meines Vaters groß geworden. Er und seine Verbündeten haben über alle wichtigen Angelegenheiten Amerikas diskutiert, meine Ansichten entbehren also nicht der Grundlage.«
Lord Penwycks Augen wurden schmal. Statt zu antworten, sprang er plötzlich auf und murmelte etwas von einer wichtigen geschäftlichen Angelegenheit. Er stürmte aus dem Raum, den höchst verblüfften Mr. Winslow im Schlepptau.
Seltsamerweise schien Lady Penwyck sich über den unerwarteten Abgang ihres Sohnes nicht weiter zu wundern. »Harrison ist ein viel beschäftigter Mann«, erklärte sie Tessa munter. »Er ist jetzt der Earl, musst du wissen. Er sitzt im Oberhaus und nimmt seine Verantwortung sehr ernst.«
Tessa schluckte. Penwyck war ein Earl?
Ihre Mutter hatte wohl nicht gewusst, dass der Gatte der Countess verstorben war, weswegen Tessa nun völlig überrascht war. Offensichtlich war Harrison der älteste Sohn und hatte den Titel und Rang seines Vaters geerbt.
Als Mitglied des Oberhauses gehörte er genau zu dem Personenkreis, den sie mit ihrer Botschaft zu erreichen wünschte. Hatte sie diese hervorragende Chance, ihrer Sache im House of Lords Gehör zu verschaffen, bereits verspielt?
4. KAPITEL
Das Abendessen war eine steife Angelegenheit, zumindest empfand Tessa es so. Während des endlosen Mahles war sie sich der prüfenden Blicke wohl bewusst, die die Gewitterwolke neben ihr in ihre Richtung aussandte. Anscheinend befand der hochwohlgeborene Herr, sie sei eine Zumutung für die vornehme Gesellschaft.
Er war tatsächlich wie ihr Stiefvater, der die Ansicht vertrat, Frauen besäßen keinen Verstand, dürften von selbst nicht den Mund auftun, sondern müssten warten, bis man sie ansprach, und dann sollten sie auch nur lächeln und dem zustimmen, was die überlegenen Männer zu sagen geruhten. Nun, damit kam er bei ihr nicht weit.
Tessa wusste, dass sie nie die ideale Gattin abgäbe. Als Kind hatte sie dieselben Bücher gelesen und aus ihnen gelernt, mit denen die Jungen unterrichtet wurden, dafür war ihre Erziehung auf den Gebieten mangelhaft ausgefallen, die bei einem jungen Mädchen als angemessen galten.
Tessa Darby konnte nicht nähen, konnte weder Klavier spielen noch singen. Sie konnte keine hübschen Bilder zeichnen oder mit Wasserfarben malen. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch keinen Kissenbezug bestickt, und sie hatte auch nicht die Absicht, das alles zu lernen.
Bei ihrer Kleidung bevorzugte sie einen einfachen, eleganten Stil. Sie war groß und mit einer wohlgeformten Figur gesegnet. Auf der Überfahrt war sie sich der intensiven Blicke der männlichen Passagiere und Besatzungsmitglieder wohl bewusst gewesen, doch sie hatte nicht das geringste Interesse daran, einen Mann einzufangen oder gar eine dauerhafte Verbindung einzugehen.
Allein und ungebunden fühlte sie sich durchaus wohl. Und mochte ihr Charakter auch die heftige Missbilligung des eingebildeten Lord Penwyck hervorrufen, so war sie doch fest entschlossen, ihren Lebenstraum hier in England
Weitere Kostenlose Bücher