Corbins 01 - Wer Das Paradies Nur Finden Will ...
kann
mich wohl darauf verlassen, daß du mich nicht im Stich läßt, bevor der Monat
vorüber ist, nicht wahr, O'Brien?«
Banner zählte das Geld im Umschlag
verstohlen. Es waren fünf Zwanzigdollarscheine — insgesamt einhundert Dollar!
Soviel hatte sie mit etwas Glück in ihrer eigenen Praxis in einem ganzen Jahr
verdient! »Ist das nicht ein bißchen viel — für einen Monat?«
Adam lächelte beschwichtigend.
»Nein, wenn man bedenkt, wie anstrengend die Arbeit in einer Praxis wie dieser
ist. Bisher war es leicht, O'Brien, aber wenn die Klinik erst voll belegt ist
und sich im Wartezimmer die Patienten drängen, wirst du noch eine
Gehaltserhöhung von mir verlangen.«
Banner schaute auf das Geld und
dachte an das hübsche Spitzentaschentuch, das sie in einem Schaufenster
gesehen hatte — ein perfektes Geschenk für Mrs. Corbin. für Melissa wäre das
wunderschöne, in kostbares Leder gebundene Tagebuch geeignet, das sie ebenfalls
gesehen hatte. Plötzlich war ihre düstere Stimmung verflogen.
»Nimm dir ein paar Stunden frei«,
forderte Adam sie auf, und diesmal wußte sie sicher, daß er ihre Gedanken
erraten hatte.
»Jeff muß irgendwo im Haus sein.
Bestimmt wird er dich mit Vergnügen in die Stadt fahren.«
Adam lachte, als Banner sich voller
Eifer abwandte, um ihren Umhang zu holen. Mit geröteten Wangen blieb sie an der
Tür stehen, die zum Gang ins Wohnzimmer führte. »Danke, Adam«, sagte sie leise.
Adam zuckte nur die Schultern.
Jeff war im Salon und überwachte das
Aufstellen der riesigen, duftenden Weihnachtstanne. Eine Bewegung hinter den
dichten Zweigen verriet die Anwesenheit einer zweiten Person.
»Zum Fenster hin, Keith! Verdammt —
ans Fenster!« polterte Jeff.
»Ich kann das Fenster nicht sehen!«
entgegnete Keith gereizt. »Würdest du bitte >nach rechts< oder >nach
links< sagen?«
»Steuerbord«, rief Jeff mit kaum
verhohlener Ungeduld.
Der riesige Baum schwankte nach
rechts. »Steuerbord!« murmelte die Stimme im Baum. »Wir sind hier im
Salon, du Idiot, und nicht auf deiner Sea Mistress!«
Banner hatte die Szene amüsiert
beobachtet, ohne etwas zu sagen, aber jetzt entschlüpfte ihr ein Kichern, und
Jeff drehte sich zu ihr um.
»Hallo, Dr. O'Brien.«
»Bin ich jetzt vor dem verflixten
Fenster oder nicht?« fragte Keith.
Banner lachte laut, und ihre
Stimmung erfuhr einen weiteren unerwarteten Aufschwung. »Ein bißchen mehr nach
links«, sagte sie.
Gehorsam glitt der massive Baum nach
links und verbreitete bei der Bewegung seinen würzigen Duft im Raum.
»Jetzt?« fragte Keith verdrossen.
»Jetzt«, bestätigte Banner.
Die Zweige raschelten, als Keith
gebückt hervortrat, mit zerzaustem Haar und leicht verärgerter Miene. Bei
Banners Anblick hellte sein Gesicht sich jedoch auf, er schaute grinsend zu
Jeff hinüber und murmelte: »Ist dir aufgefallen, daß Adam immer die besten
Geschenke bekommt?«
Jeff nickte, und für einen Moment
erschien ein wehmütiger Blick in seinen blauen Augen.
Banner war verblüfft über den
Wechsel in seinem Ausdruck, aber sie beschloß, nicht weiter darüber nachzudenken.
Sie wollte die festliche Stimmung nicht zerstören. »Ihr Bruder meinte, Sie
würden mich vielleicht in die Stadt fahren«, wandte sie sich an Jeff. »Ich
möchte etwas einkaufen.«
Jeff machte eine angedeutete
Verbeugung vor ihr. »Ich stehe zu Ihren Diensten, Mylady. Ich lasse die Kutsche
sofort vorfahren.«
»Der Zweisitzer reicht auch«, warf
Banner, die nicht an Luxus gewöhnt war, ein.
»Nicht für Sie«, widersprach Jeff
galant, bevor er ihre Hand nahm und sie küßte.
Keith verdrehte die Augen. »Sie
müssen meinem Bruder verzeihen, Banner. Er bringt manchmal die Jahrhunderte
durcheinander und verwandelt sich vor unser aller Augen vom Kapitän eines
modernen Schiffes in einen prahlerischen Piraten. Einige von uns verdächtigen
ihn sogar, bei voller Fahrt mit gezogenem Schwert am Ende der Laufplanke zu
stehen oder im Takelwerk zu hängen.«
»Kümmere dich um deine Schäflein!«
entgegnete Jeff herablassend, ohne den Blick von Banner zu lösen. »Meine
Chauffeurdienste haben allerdings einen Preis, Dr. O'Brien.«
Banner wußte, daß kein Anlaß zur
Unruhe bestand; von Jeff drohte ihr keine Gefahr. »Und der wäre?« fragte sie
lächelnd.
»Sie müssen sich von mir zum
Abendessen einladen lassen.«
»Einverstanden«, stimmte sie
bereitwillig zu.
Keith stieß seinen Bruder in die
Rippen. »Ich hoffe, du hattest ein langes erfülltes Leben«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher