Corbins 02 - Wer ein Laecheln des Gluecks einfaengt...
Schild
auf und las. »Können Sie wirklich zaubern?« fragte er dann nachdenklich.
Fancy errötete. Obwohl es ihr nach
dieser mißglückten Vorstellung sicher niemand glauben würde, war sie eine recht
gute Zauberin. Sie konnte Münzen hinter den Ohren ihrer Zuschauer hervorziehen
und feurige Blitze aus ihren Fingerspitzen sprühen lassen. Einmal war es ihr
sogar gelungen, eine Frau in der Mitte durchzusägen und sie wieder
zusammenzusetzen. Allerdings war es nicht leicht, Freiwillige für diesen Trick
zu finden, und die nötigen Geräte hatte sie sich von einem anderen Zauberer
ausgeliehen.
»Ja«, bestätigte sie mit Würde. »Ich
kann zaubern.« »So etwas könnten wir hier gebrauchen«, entgegnete der junge
Priester sinnend.
Fancy schaute sich um und
betrachtete zum ersten Mal seit ihrer Ankunft an diesem Morgen die Umgebung, in
der sie sich befand. Sie sah ein stattliches Haus aus massivem Naturstein,
umgeben von vielen Hektar Land, das mit Apfelbäumen bestanden war, einen Fluß,
der die ausgedehnte Rasenfläche vor dem Haus begrenzte, und einen Garten mit
blühenden Rosensträuchern und weißen Marmorbänken.
»Wohnen Sie hier?« fragte sie,
verwundert, daß ein Priester so reich sein sollte.
»Ja«, erwiderte er mit einer
leichten Verbeugung und amüsiertem Blick. »Das Land gehört meiner Familie. Ich
verwalte es nur.«
Fancy war beeindruckt und deutete
auf einen der Apfelbäume, der mit Luftballons, bunten Bändern und Geschenken
geschmückt war. »Hat jemand Geburtstag?«
Der Priester lachte leise. »Nein, in
meiner Familie ist es Tradition, den Beginn der Apfelblüte zu feiern. Dazu
laden wir die ganze Gemeinde ein, und jedes Kind bekommt ein Geschenk aus dem
Baum.« Er machte eine Pause und runzelte die Stirn. »Es klingt wie ein heidnischer
Brauch, nicht wahr? Wie ein Frühlingsritual oder so.«
Trotz ihrer unglücklichen Lage
lächelte Fancy. »Es ist eine wunderbare Idee«, antwortete sie.
»Ich habe Hunger, Miss Jordan«,
erklärte der Mann ganz unvermittelt. »Und Sie?«
Fancy hatte seit dem frühen Morgen
nichts mehr zu sich genommen und war mehr als hungrig. »Ich habe ein Kaninchen,
das wir rösten könnten«, schlug sie scherzhaft vor.
Der Priester reichte ihr lächelnd
die Hand, um ihr beim Aufstehen zu helfen. »Das würde viel zu lange dauern«,
meinte er vernünftig.
Bevor Fancy seine Hand ergriff, warf
sie einen bedrückten Blick auf den abgenutzten Rock ihres Zauberkostüms. Einer
der silbernen Sterne, die sie aufgenäht hatte, löste sich bereits, und sie
versuchte vergeblich, den langen Rock glattzustreichen. »Ich kenne Ihren Namen
nicht«, sagte sie.
»Keith«, erwiderte er ohne
Förmlichkeit. »Keith Corbin.«
Corbin. Der Name traf Fancys leeren Magen
und löste einen Schwindel in ihr aus, der sie einen Moment die Augen schließen
ließ.
Du lieber Himmel, er meinte doch
hoffentlich nicht die Corbins aus Port Hastings!
Pastor Corbin beugte sich vor und
maß Fancys blasses Gesicht mit einem prüfenden Blick. »Was haben Sie?«
»N-nichts«, log Fancy. Aber in Gedanken standen allerlei erschreckende Bilder
vor ihr — die Explosion des Schiffes, das im Hafen von Port Hastings verankert
gelegen hatte, und Temple Royce — damals ihr Arbeitgeber und feuriger Verehrer
—, wie er sein Glas gehoben und auf den Tod des Schiffskapitäns getrunken hatte
...
»Ich glaube, Sie sollten etwas
essen«, meinte der Pastor und zog Fancy auf die Beine.
Nachdem sie an einem langen Büfett
ihre Teller gefüllt hatten, kehrten Fancy und der Priester zu den Stufen der
verlassenen Bühne zurück, wo sie sich setzten und schweigend aßen. Fancy war dankbar
für den Schinken, die kandierten süßen Kartoffeln, die grünen Bohnen und das
knusprige Brot — der liebe Himmel wußte, wann sie wieder essen würde, nachdem
sie ihren Job verloren hatte!
»Sie brauchen Arbeit«, bemerkte
Corbin, als hätte er Fancys Gedanken erraten.
Sie nickte düster. Nach allem, was
sie gesehen hatte, war Wenatchee ein sehr kleiner Ort, und es war ziemlich
ausgeschlossen, daß sie hier eine Stellung fand. »Ich weiß«, sagte sie
bedrückt.
»Ich könnte Ihnen Geld geben«,
schlug er vor.
Fancy schüttelte rasch den Kopf.
Schulden hatte sie bisher immer vermieden angesichts der Sorgen, die sie ihren
Eltern bereitet hatten. »Ich muß mir meinen Lebensunterhalt verdienen«, sagte
sie entschieden.
»Dann arbeiten Sie doch für mich!
Ich fürchte, in Wenatchee besteht nicht viel Bedarf an
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