Corbins 03 - Wer dem Zauber der Liebe verfaellt...
fünftausend Dollar auf dem
Spiel, und Zeit ist von größter Bedeutung — ich bin sicher, daß es nur eine
Frage von Tagen oder Stunden ist, bis es jemand anderem auffällt.«
Tess nahm die Zeitung und
betrachtete sie verwirrt. Dann weiteten sich ihre Augen vor Überraschung.
»Joel! Das ist Joel Shiloh!« sagte sie atemlos.
»Dann habe ich also doch recht«,
seufzte Derora. »Ich fürchtete schon, mich geirrt zu haben.«
Während Tess die Skizze betrachtete,
bemühte sie sich, ihre Niedergeschlagenheit zu verbergen. Sie hatte es ja
geahnt — Joel war gar nicht Joel. Er war ein Corbin. Deshalb also der Name,
der auf der Bibel stand — Keith Corbin.
Sie ließ sich mit klopfendem Herzen
in einen Sessel fallen. Warum hatte er ihnen einen falschen Namen angegeben?
Warum verbarg er sich vor seiner Familie? Und warum waren sie so versessen
darauf, ihn wiederzufinden, daß sie bereit waren, ein kleines Vermögen für Hinweise
auf seinen Aufenthaltsort zu bezahlen?
»Wir brauchen das Geld, Tess«, sagte
Derora in entschiedenem Ton. »Zwar hatte ich ursprünglich nicht vor, es mit
dir zu teilen, aber nun bin ich leider doch auf deine Hilfe angewiesen.«
Tess ließ die Zeitung sinken und
faltete ihre zitternden Hände. »Du ... du willst die Belohnung kassieren?«
»Selbstverständlich! Fünftausend
Dollar sind eine Menge Geld, Tess. Denk nur an die Pflege, die du mit deinem
Anteil deiner Mutter zukommen lassen könntest! Du könntest dich sogar in
Portland niederlassen, dir einen Job suchen und in ihrer Nähe ...«
»Aber Joel muß einen Grund haben,
diesen Leuten aus dem Weg zu gehen. Einen sehr guten Grund, denn sonst ...«
»Was interessieren mich seine
Gründe? Ich könnte endlich die Pension aufgeben und diese häßliche Stadt
verlassen. Ich könnte reisen, Tess, und mir ein neues Leben aufbauen!«
Tess senkte den Kopf. Derora war in
all dieser Zeit für die Sanatoriumskosten ihrer Mutter aufgekommen, dafür hatte
sie Tess für die Arbeit kein Gehalt bezahlt. Was würde aus Olivia werden, wenn
Derora die monatlichen Überweisungen einstellte? »W-würde mein Anteil ausreichen,
Mutters Pflege zu bezahlen?«
»Ich gebe dir die Hälfte des Geldes,
Tess. Zweitausend-fünfhundert Dollar würden ausreichen, Olivia für lange Zeit
zu versorgen, und du hättest trotzdem noch die Möglichkeit, dir eine
vernünftige Existenz aufzubauen.«
Tess' Kehle war wie zugeschnürt. Es
war eine teuflische Wahl, vor die Derora sie stellte. Entweder konnte sie ihre
Mutter ihrem Schicksal überlassen oder den ersten Mann verraten, den sie je
geliebt hatte. Denn daß sie Keith Corbin liebte, war ihr schon lange klar.
»Was soll ich tun?« flüsterte sie.
»Geh zum Telegraphenamt und zwinge
sie zu öffnen, erzähle ihnen, was du willst, aber sorg dafür, daß das Telegramm
an Adam Corbin noch heute herausgeht. Wir haben keine Zeit zu verlieren, Tess.
Es wird nicht lange dauern, bis jemand anderer die Anzeige sieht und unseren
Freund Joel erkennt.«
»Angenommen, Keith' Familie wollte
ihm Schaden zufügen ...«
»Das ist sein Problem«, unterbrach
Derora sie seufzend. »Tu, was ich dir sage, Tess. Mir zuliebe und deiner
Mutter zuliebe.«
Tess stand auf und ging mit steifen
Beinen zur Tür. Bei ihrem letzten Besuch bei ihrer Mutter — vor fast einem Jahr
— hatte Olivia sie nicht einmal erkannt. Der Zustand ihrer Mutter hatte sich
dermaßen verschlimmert, daß sie nur noch vor sich hin ins Leere starrte, kein
Wort sprach und auch nicht auf die Worte anderer reagierte. Wie sollte Olivia
weiterleben, wenn Tess die Kosten für das Sanatorium und seine freundlichen
Pflegerinnen nicht mehr aufbringen konnte?
Bittere Tränen blendeten Tess, als
sie ihr Fahrrad aus dem Schuppen holte und auf die Straße lenkte. Und vielleicht
waren diese Tränen der Grund, weshalb sie den falschen Weg einschlug und nicht
zum Telegraphenamt fuhr, sondern auf das Lager des Hausierers zuhielt .
Es war sehr spät, aber er saß noch
am Lagerfeuer und starrte in die Flammen.
»Mister Corbin?«
Seine breiten Schultern versteiften
sich, dann wandte er langsam den Kopf. Als er Tess erkannte, sprang er auf und
herrschte sie zornig an: »Was machen Sie hier?«
Tess' Tränen, die irgendwann auf dem
Weg versiegt waren, begannen wieder zu fließen, als sie Keith die mitgebrachte
Zeitung reichte. »Lesen Sie es selbst.«
Keith trat näher ans Feuer, um Licht
zu haben. Ein derber Fluch war sein einziger Kommentar, als er die Anzeige
las.
»Meine Tante hat
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