Corbins 03 - Wer dem Zauber der Liebe verfaellt...
einseitige Version der Geschichte gehört. Tess war versucht, Asa von den Fußböden zu
erzählen, die sie geschrubbt hatte, von den Mahlzeiten, die sie zubereitet und
der Wäsche, die sie gewaschen hatte, um für ihren und ihrer Mutter Unterhalt zu
zahlen. Aber dann verzichtete sie darauf. Was machte das jetzt noch?
»Derora war auf ihre Art sehr nett«,
meinte sie daher nur, worauf ein unbehagliches, gespanntes Schweigen entstand.
Keiner wußte so recht, was er sagen sollte.
Dann begann Asa zu erzählen — von
den Machenschaften seiner inzwischen verstorbenen Frau und seiner Tochter
Millicent; von seinen eigenen Bemühungen, Olivias und Tess' Aufenthaltsort zu
erfahren; von den Detektiven, die er beauftragt hatte, nach ihnen zu suchen,
und von den Briefen, die ihn nie erreicht hatten. Ganz zum Schluß erwähnte er
das Geständnis seiner Tochter Millicent, das ihm nach so vielen Jahren
ermöglicht hatte, Olivia und Tess zu finden.
Tess wehrte sich innerlich dagegen,
aber sie glaubte ihm, denn die Wahrheit stand ganz klar in seinem Blick
geschrieben.
»Du bist jetzt eine erwachsene
Frau«, sagte er ruhig, als er seine unglaubliche Erzählung beendet hatte, »und
die Zeit, in der ich dich noch beeinflussen konnte, ist vorbei. Aber was deine
Mutter betrifft, so werde ich sie noch heute heiraten und sie — sobald sie
etwas kräftiger geworden ist — nach St. Louis zurückbringen. Dort werde ich
sie stolz als meine Frau vorstellen, und keiner wird mir je nachsagen können,
daß wir eine beschämende Beziehung unterhalten haben.«
Tess betrachtete Asa verwundert. Es
war ganz offensichtlich, daß dieser Mann ihre Mutter aufrichtig liebte. Und nun
würde sie endlich — nach so vielen Jahren des Skandals und der Geheimnistuerei
— die Herrin seines Hauses und seines Herzens sein.
Asa nahm das Gespräch wieder auf,
weil Tess zu ergriffen schien, um etwas sagen zu können. »In gewisser Weise
hast du unter meinem Verhalten ebenso zu leiden gehabt wie Livie, aber das ist
jetzt vorbei. Ich werde dich vor dem Gesetz als meine Tochter anerkennen, und
wenn Millicent und Rod einmal erben, steht dir der gleiche Anteil zu wie ihnen.
Falls es dein Wunsch sein sollte, kannst du mit uns nach St. Louis gehen und
den Platz in der Familie einnehmen, der dir von Rechts wegen zusteht.«
Ihren Platz in der Familie ... in
diesem stattlichen Haus mit seinem gepflegten Park, umgeben von livrierten
Dienern und aufmerksamen Kammerzofen! Wie oft hatte sie auf der Straße vor dem
Thatcher House gestanden und gewünscht, es einmal betreten zu dürfen! Oder dort
willkommen zu sein ...
»Nein, das könnte ich nicht«, sagte
sie.
Asa schien nicht überrascht. »Wie du
willst. Du wirst also hier in Oregon bleiben?«
Darüber hatte Tess noch nicht
nachgedacht. »Ich weiß es nicht. Eigentlich wollte ich mir hier eine Stellung
suchen, damit Mama im Sanatorium bleiben konnte ...«
»Was ist mit diesem jungen Mann —
Keith Corbin? Wie paßt er in deine Pläne?«
Tess starrte ihren Vater überrascht
an, dann wurde ihr bewußt, daß Asa mit Keith gesprochen haben mußte, während
sie mit ihrer Mutter beschäftigt gewesen war.
»Ich sehe ihn vielleicht nie
wieder«, sagte sie offen. »Er versprach nur, mich sicher nach Portland zu
bringen. Das ist alles.«
»Ich verstehe. Würdest du ihn
heiraten, wenn es möglich wäre?«
Tess' Gesicht hellte sich auf. »0
ja!« antwortete sie impulsiv, aber dann fiel ihr der Ring ein, den Keith noch
immer um den Hals trug. »Aber er liebt eine andere Frau.«
Asa zog eine buschige Braue hoch.
»Verzeih mir meine Offenheit, Liebes — aber du und dieser junge Mann, ihr seid
intim gewesen, nicht wahr?«
Tess verriet sich durch ihren
bestürzten Blick. Als sie sich von ihrem Schreck erholt hatte, war es bereits
zu spät.
»Mr. Corbin würde dich also als
seine Mätresse haben wollen, nicht als seine Frau.«
Die Worte trafen Tess wie eine
Lanze. Nie, niemals würde sie die Mätresse eines Mannes sein! »Wenn ich nicht
seine Frau werden kann, will ich auch nicht seine Geliebte sein.«
»Für diese Entscheidung ist es ein
bißchen zu spät, findest du nicht?« versetzte Asa trocken.
Tess holte tief Luft und straffte
die Schultern. »Ich will nicht über Keith Corbin sprechen«, sagte sie flach.
»Er ... wir ... es war ein Fehler.« Sie schaute ihrem Vater trotzig in die
Augen. »Aber wenn Sie wirklich bereit sein sollten, mich als Tochter
anzuerkennen, wäre ich zwar nicht an der Erbschaft interessiert,
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