Corbins 03 - Wer dem Zauber der Liebe verfaellt...
den
Hausierer, zu erwähnen. In ihrem gegenwärtigen, sehr schwachen Zustand waren
Livie keine weiteren Belastungen zuzumuten.
Keith, der neben ihr stand, warf ihr einen
ungeduldigen Blick zu und klopfte selbst. »Kopf hoch, Tess«, flüsterte er ihr
zu. »Es ist dein Vater, den du sehen wirst, nicht Dschinghis Khan.«
Die Tür von Suite Siebzehn ging auf,
und Tess stockte der Atem. Asa Thatcher war noch dünner, als sie ihn in
Erinnerung hatte, und bei weitem nicht attraktiver, aber er strahlte eine ganz
neue, für sie ungewohnte Kraft und Entschlossenheit aus.
Seine dunklen, eingefallenen Augen
betrachteten seine Tochter prüfend, dann glitt sein Blick zu Keith — über
dessen abgenutzte Kleider und den verstaubten Hut.
»Kommt herein«, sagte er schroff und
trat zurück.
Olivia saß auf einem Sessel, schaute
Tess strahlend an und streckte einladend die Arme nach ihr aus. »Tess«, sagte
sie mit erstickter Stimme.
Tess warf sich ihrer Mutter in die
Arme und fiel vor ihrem Sessel auf die Knie. »Mama ... es geht dir gut? Du bist
wieder gesund?«
Olivia zog Tess an sich heran und
strich zärtlich über ihr aufgelöstes Haar. »Es geht mir schon viel besser«, versicherte
sie leise. »Ach, Tess, mein kleiner Wildfang! Hast du keine Haarnadeln?«
Es war ein glückliches, wenn auch
tränenreiches Wiedersehen. Und als Tess erfuhr, daß Asa Thatcher beabsichtigte,
die Frau zu heiraten, die so viele Jahre seine Geliebte gewesen war, und für
sie sorgen wollte, wie sie es verdiente, schaute Tess sich im Zimmer um und
merkte zum ersten Mal, daß Keith verschwunden war.
Leise Verzweiflung beschlich sie.
War er für immer fortgegangen, ohne sich von ihr zu verabschieden?
Asa, der während des Gesprächs
zwischen Mutter und Tochter diskret am Kamin gestanden hatte, las die Frage in
Tess' Augen, aber sie erkannte keine Antwort in seinen.
Minuten später, als eine sehr
erschöpfte, aber glückliche Olivia in einem angrenzenden Raum zu Bett gebracht
worden war, zündete Asa eine Pfeife an und betrachtete Tess mit derart nachsichtiger
Zuneigung, wie Tess sie noch nie an ihm gespürt hatte.
»Dieser Hausierer, Tess ... Liebst
du ihn?«
Tess setzte sich auf den Sessel, den
ihre Mutter gerade verlassen hatte. Sie hatte Asa Thatcher viel zu sagen, das
meiste davon war nicht angenehm für ihn, aber jetzt war nicht der richtige
Moment für eine Auseinandersetzung. Nicht, wenn Olivia ihn so sehr liebte, daß
er sie in den Wahnsinn treiben und sie wieder zur Vernunft bringen konnte, wie
es ihm gefiel. »Ja«, sagte sie daher, denn es bestand kein Grund zu lügen.
»Hat er dich gebeten, ihn zu
heiraten?«
Tess verlor allmählich die Geduld.
Wie kam Asa Thatcher dazu, auf einmal die Vaterrolle zu übernehmen, nachdem er
fünf Jahre lang nicht einmal ihre Briefe beantwortet hatte? Glaubte er etwa,
sie habe den brutalen Hinauswurf aus seinem Haus in St. Louis vergessen? Ihre
Mutter mochte in seine Arme zurücksinken wie die Heldin in einem schlechten
Melodram, aber Tess hatte nichts dergleichen vor. »Nein, Mister Thatcher. Das
allerletzte, was Keith will, ist, mich zu heiraten.«
Asa zog nachdenklich an seiner
Pfeife. Es war ihm anzumerken, daß er Tess' Feindseligkeit spürte. »>Mister
Thatcher<, hm? Ich erinnere mich, daß du mich früher >Papa< genannt
hast. Erinnerst du dich nicht mehr, wie wir in der Kutsche ausgefahren ...«
»Diese Zeiten sind vorbei«, fiel
Tess ihm kühl ins Wort und straffte abweisend die Schultern.
»Nun ja, ich gebe zu, daß du heute
zu alt bist, um noch auf meinen Schultern zu sitzen«, sagte Asa mit unbeirrtem
Lächeln. »Und ich kann dir auch nicht übelnehmen, daß du böse auf mich bist,
Tess. Aber wenn du mir die Chance gibst, erkläre ich dir alles — was in St.
Louis geschah und dann in all jenen Jahren, in denen es so aussehen mußte, als
liebte ich dich und deine Mutter nicht mehr.«
Tess wollte nicht an die glücklichen
Tage vor seinem Verrat erinnert werden, als es noch Weihnachtsgeschenke gegeben
hatte, schöne Kleider und endlose Ausfahrten in Asas Kutsche. Nein, daran
wollte sie nie wieder denken. »Wir sind vertrieben worden«, sagte sie, ohne Asa
anzusehen. »Wenn Tante Derora nicht gewesen wäre . .«
»Ich habe deine Tante entschädigt«,
warf Asa ein.»Obwohl eine solche Schuld natürlich nie getilgt werden kann. Ich
werde dieser Frau ewig dankbar sein.«
Tess hob erstaunt den Kopf und schaute
ihren Vater an. Er hatte Derora gesehen — und bestimmt auch ihre sehr
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