Corbins 03 - Wer dem Zauber der Liebe verfaellt...
er mit ihr
getan hatte. Sie besaß wirklich kein Recht, Rod irgendwelche Vorwürfe zu
machen. Abgesehen von der Lüge über das >Durchbrennen< hatte Emma nichts
als die bittere Wahrheit gesagt. »Sie hatte kein Recht dazu«, schloß Tess
lahm.
»Du wirst also in die Fußstapfen
deiner Mutter treten und die Geliebte eines Hausierers sein. Obwohl dein Leben
natürlich ganz anders aussehen wird. Mein Vater ist wenigstens ein reicher
Mann. Ich kann mir vorstellen, daß die Großzügigkeit eines Hausierers gewissen
Grenzen unterworfen ...«
Tess stand auf und schlug ihrem
Halbbruder mitten ins Gesicht.
Seine Reaktion überraschte sie ein
wenig. »Bin ich der Wahrheit zu nahe gekommen?« erkundigte er sich mit
spöttischem Lächeln, und diese Worte trafen Tess härter, als wenn er
zurückgeschlagen hätte. »Du willst dich nicht von einem Mann aushalten lassen
wie deine Mutter, wenn ich dich richtig einschätze.«
Tess war so erschüttert, daß ihr
übel wurde. Sie zog sich in ihren Sessel zurück und atmete tief durch, um nicht
zu weinen. »Wußtest du, daß dein Vater mich eingeladen hat, in eurem
Familiensitz in St. Louis zu leben?« fragte sie leise. »Ich habe es abgelehnt,
und jetzt bin ich froh darüber. Ich würde mein Leben lang zu hören bekommen,
daß meine Mutter eine Gefangene in einem goldenen Käfig war, nicht wahr, Rod?«
Ihr niedergeschlagener Ton mußte Rod
besänftigt haben; er kehrte zu seinem Sessel zurück, faltete die Hände und
wirkte beinahe freundlich. Aber er war ja auch ein Schauspieler. »Du wärst
nicht glücklich in St. Louis«, sagte er schließlich. »Frauen wie meine Mutter
und meine Schwester würden dir das Leben zur Hölle machen. Sie würden dich nie
akzeptieren, denn für solche Frauen stellst du eine Bedrohung dar.«
»Dann wird meine Mutter dort auch
nicht glücklich sein«, murmelte Tess bedrückt.
»Wenn mein Vater sie so sehr liebt,
wie er behauptet, wird er sie anständig einzuführen wissen und dann mit ihr an
einen anderen Ort ziehen. Ich kenne Olivia nur flüchtig, aber jeder Narr kann
sehen, daß sie zu schwach ist, um mit heimtückischem weiblichen Haß und
Intrigen fertig zu werden.«
Tess verspürte den dringenden
Wunsch, das Thema zu wechseln. Die letzten Tage waren zu aufregend für sie
gewesen, und nun brauchte sie ein Bad, etwas zu essen und Ruhe — viel Ruhe.
Als Asa aus dem Schlafzimmer
zurückkam — Olivia hatte einen Alptraum gehabt und schlief nun wieder ruhig —,
erklärte er, die Suite gemietet zu haben, weil sie Platz für alle bot. Er
zeigte Tess ihr Zimmer, und ihre bedrückte Stimmung lockerte sich ein wenig,
als sie es sah.
Ein ausgedehntes Bad erfüllte
zumindest zwei ihrer dringendsten Bedürfnisse — sie wusch ihr Haar und blieb so
lange in dem duftenden heißen Wasser liegen, bis sie sich völlig entspannt
fühlte. Dann zog sie den Flanellbademantel über, den Asa ihr diskret
überlassen hatte, und ging in ihr Zimmer zurück.
Dort, auf einem Servierwagen,
wartete ein Tablett mit dampfend heißem Tee und eine zugedeckte Silberplatte
mit gebackenem Huhn, Salzkartoffeln, grünen Bohnen und einer köstlichen Sauce.
Tess' Magen knurrte laut, als sie sich auf die Bettkante setzte, um zu essen,
und sie überlegte, daß sie nun eigentlich keinen Grund mehr hatte, unglücklich
zu sein.
Vielleicht wäre sie es auch nicht
gewesen, aber dazu hätte sie Keith Corbin nie kennenlernen dürfen ...
Nach dem Essen schenkte Tess sich
eine Tasse Tee ein, rollte den Servierwagen hinaus und schlüpfte zwischen die
duftenden, gestärkten Laken.
Schon bald fiel sie in einen tiefen,
ungestörten Schlaf. Als sie erwachte, herrschte Dämmerlicht im Zimmer, und eine
rundliche Frau in raschelndem Satin stand am Fußende ihres Betts.
Tess war so erschrocken, daß sie
unwillkürlich eine Hand an ihre Kehle legte. »Was ... wer ...«
»Ich bin Missis McQuade«, sagte die
Frau freundlich. »Ich besitze ein Modewarengeschäft auf der anderen Straßenseite,
das ich ganz allein führe ...« sie seufzte tief »seit mein armer Alexander
verschieden ist.«
»Oh«, meinte Tess nur, die nicht
viel mehr begriff als vorher.
»Ich bin hier, um Ihnen Kleider und
andere Dinge vorzuführen. Es ist alles im Salon.« Missis McQuade strahlte Tess
an.
»Ihr Papa ist ein großzügiger Mann.
Er sagte, ich solle Sie und die andere Dame mit allem ausstatten, was Sie
brauchen, und nicht auf die Kosten achten.«
Asa wollte ihr neue Kleider kaufen.
Tess biß sich auf die Unterlippe und
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