Corbins 03 - Wer dem Zauber der Liebe verfaellt...
aber
vielleicht würde ich Sie um ein Darlehen bitten, weil ich ein kleines Geschäft
eröffnen möchte.«
Asa schien interessiert. »Was für
eine Art Geschäft?« fragte er, während er seine Pfeife im Kamin ausklopfte.
»Ich würde Fotos machen und sie entwickeln.«
»Du bist Fotografin?« fragte er
entzückt. »Wie ist es dir nur gelungen, an einem Ort wie Simpkinsville einen
solchen Beruf zu erlernen?«
Ich mache sehr gute Fotos, Mister
Thatcher. Ich habe mir das Geld für die Kamera erspart, und ich weiß, daß ich
auch Bilder entwickeln könnte — wenn ich das entsprechende Material und
Lehrbücher besäße.«
Asa lächelte. »Meinst du nicht, eine
andere Art von Geschäft würde besser deinen Bedürfnissen entsprechen — ein
Modewarengeschäft zum Beispiel?«
Tess verneinte entschieden. »Ich
möchte Fotos machen.«
Asa — dieser Vater, an dem sie fast
verzweifelt war, den sie gehaßt und geliebt hatte — lachte einfach! »Ich werde
dir kein Darlehen geben, sondern dir einen Laden kaufen, und wir werden ihn mit
allem füllen, was du brauchst. Und da neue Geschäfte anfangs nur wenig Profit
abwerfen, werde ich dir ein Konto einrichten, von dem du leben kannst.«
Wieder war Tess so überwältigt, daß
sie kaum ein Wort hervorbrachte. »Ich wollte nicht ... ich hatte nicht ...«
»Warum nicht, Tess? Ich bin ein
reicher Mann. Gib mir die Möglichkeit, mit diesem kleinen Geschenk etwas an dir
wiedergutzumachen. Immerhin war dein Bruder in Princeton, und deine Schwester
hat eine ausgedehnte Europareise bekommen — unter anderem.«
Tess konnte sich kaum vorstellen,
Geschwister zu besitzen. Obwohl sie natürlich von ihrer Existenz gewußt hatte,
waren sie immer so unwirklich für sie gewesen wie Prinzen und Prinzessinnen aus
irgendwelchen Märchen. »Wenn ich das Geld nicht zurückzahlen darf, nehme ich es
nicht an«, sagte sie.
Asa schüttelte verblüfft den Kopf.
»Darüber sprechen wir später, Liebes. Aber ich warne dich — ich bin sehr
starrsinnig und gewöhnt, meinen Willen durchzusetzen.«
»Ich auch«, entgegnete Tess
aufrichtig.
»Vielleicht hast du das von mir.« Er
machte eine Pause und betrachtete sie schmunzelnd. »Gott sei Dank, daß du das
Aussehen von deiner schönen Mutter geerbt hast und nicht mir ähnelst, wie deine
arme Schwester Millicent.«
Tess wurde plötzlich neugierig auf
den Prinzen und die Prinzessin. »Und mein Bruder? Wie sieht er aus?«
Asa zog seine Brieftasche und holte
zwei kleine Fotografien heraus, die er Tess wortlos reichte.
Das erste, was sie sah, war das
Gesicht ihrer Schwester Millicent. Sie hatte tiefliegende, kummervolle Augen
wie Asa, und der strenge Knoten, zu dem sie ihr mausbraunes Haar geschlungen
hatte, ließ ihre Ohren unnatürlich groß wirken. Das Leben schien trotz aller
Privilegien Millicents nicht sehr gnädig mit Tess' Halbschwester umgegangen
zu sein — das war aus ihrer grimmigen Miene eindeutig zu schließen.
»Millicent hat vor kurzem einen sehr
feinen Mann geheiratet«, erzählte Asa. »Er ist Arzt und hat vor, in ,die
Mission nach Afrika zu gehen. Ich bin überzeugt, daß meine Tochter den
Eingeborenen die Furcht vor dem Herrn beibringen wird, ob sie es nun wollen
oder nicht.«
Tess lächelte und nahm das zweite
Foto in die Hand, aber dann erstarrte sie. Ihre Augen wurden weit, und sie hielt
unbewußt den Atem an. Er war sehr viel jünger auf dem Bild und sah längst nicht
so verlebt aus wie heute, aber es war zweifellos Roderick Waltam, der sie von
dem Foto anlächelte!
»Das kann nicht sein!«
Asa lachte. Rods Reaktion war
ähnlich, als er erfuhr, daß die Tess Bishop, die er in Simpkinsville
kennenlernte, seine eigene Schwester ist.
In diesem Augenblick, fast wie auf
ein Stichwort hin, betrat Roderick Waltam die Suite, steckte den Schlüssel in
seine Rocktasche und bedachte Tess mit einem boshaften Lächeln.
»So, so«, sagte er, »da ist sie
also, meine kleine Schwester ... die Hausiererfrau. Du bist doch jetzt seine
Frau, meine Süße? Ich hoffe es sehr, Kleines. Denn wir wollen doch keine
unehelichen Bälger in der Familie haben, oder?«
Neun
»Was fällt dir ein, so mit deiner
Schwester zu sprechen! Ich will dergleichen nie wieder hören!« fuhr Asa auf,
bemüht, der schlafenden Olivia zuliebe nicht zu laut zu werden.
Roderick, der in Simpkinsville so
freundlich zu Tess gewesen war und sogar ihr Fahrrad repariert hatte, schien
außerordentlich verärgert über die Erkenntnis, eine zweite Schwester zu
besitzen. Er ließ
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