Corbins 03 - Wer dem Zauber der Liebe verfaellt...
überlegte, wie sie ihre Ablehnung formulieren
sollte. Es war durchaus angebracht, daß er für Olivias Garderobe aufkam, aber
für Tess war er nicht verantwortlich, jedenfalls nicht in dieser Hinsicht.
»Ich darf keine Absage akzeptieren«,
warnte Missis McQuade Tess lächelnd. »Und wenn ich ganz ehrlich sein soll,
Missy, muß ich zugeben, daß mein Geschäft heute längst nicht mehr so viel
einbringt wie früher.«
Mit anderen Worten, dachte Tess, ich
würde Unglück und finanzielle Schwierigkeiten auf sie herabbeschwören, falls
ich mich weigerte, etwas von ihr zu kaufen ...
Sie seufzte. Schon bald würde auch
sie im Geschäftsleben stehen und sich um ihre Einkünfte sorgen. Sie hatte
nicht vor, Missis McQuade aus Stolz um ihren Gewinn zu bringen. Im übrigen
besaß sie nichts außer dem, was sie am Leibe trug — Keith hatte noch immer
ihren Koffer, und der Himmel mochte wissen, wo er war.
»Wenn Sie etwas Unterwäsche
hereinbringen könnten«, sagte sie schließlich schüchtern.
Missis McQuade nickte strahlend,
ging hinaus und erschien zwei Minuten später mit einem Armvoll Hemdchen,
Miedern und Höschen, einige spitzenbesetzt, andere bestickt, aber alle aus
Seide oder Satin, so ganz anders als der Musselin, den Tess in letzter Zeit
getragen hatte. So schöne Dinge hatte sie seit St. Louis nicht mehr besessen.
Als Missis McQuade ihr diskret den
breiten Rücken zuwandte, stand Tess auf und probierte ein mit weißer Spitze
besetztes Höschen aus blauem Satin an. Dann streifte sie entzückt das passende
Mieder dazu über und ließ liebevoll ihre Hand über das herrlich kühle Material
gleiten. Oh, wie sehr sie es vermißt hatte, schöne Kleider zu besitzen!
Die Anprobe nahm eine lange Zeit in
Anspruch. Tess entschied sich für leichte Tageskleider aus Musselin und
Baumwollstoffen, praktische Röcke und Blusen, die sie in ihrem Laden tragen
konnte, und dicke, gerippte Strümpfe. Für Bälle oder Feste — sollte sie je dazu
eingeladen werden — wählte sie ein Kleid aus butterblumengelbem Batist, das
sie auch zur Trauung ihrer Mutter tragen konnte.
Missis McQuade plauderte unablässig
über die bevorstehende Feier, sagte, wie sehr sie Hochzeiten liebte und wie
schön die Kleider waren, die Missis Thatcher ausgesucht hatte. Ganz zum Schluß
reichte sie Tess einen Kamm aus Elfenbein, eine Bürste, ein Spiegelset und ein
Päckchen Haarnadeln.
»Ihre Mama wünscht, daß Sie Ihr Haar
für die Zeremonie aufstecken«, sagte sie streng und musterte Tess' lange,
glänzende Mähne mit gutmütigem Vorwurf. »Soll ich Ihnen dabei helfen?«
Tess unterdrückte ein Lächeln. »Ich
glaube, das schaffe ich schon, Missis McQuade, aber trotzdem vielen Dank. Auch
dafür, daß Sie mir all diese schönen Kleider gebracht haben.«
Missis McQuade sammelte die Sachen
ein, die Tess nicht behalten wollte, und verließ nach einigen höflichen
Abschiedsworten diskret den Raum.
Als Tess allein war, zog sie das
herrliche gelbe Kleid an und begann, ihr langes Haar zu einer Frisur für die
Trauung aufzustecken, die seit mindestens zwanzig Jahren überfällig war.
Die Zeremonie fand eine Stunde
später im Salon der Suite statt. Ein Friedensrichter sprach die Worte vor, und
Tess und Rod fungierten als Trauzeugen.
Olivia sah ganz entzückend aus in
ihrem fließenden langen Kleid aus elfenbeinfarbener Seide. Ihre Füße steckten
in zierlichen goldenen Schuhen und ein halbes Dutzend diamantbesetzte Kämme
hielten ihr mit grauen Strähnen durchsetztes mahagonifarbenes Haar zusammen.
Sie wirkte wie eine Märchenfee.
Ihrer Mutter zuliebe bemühte sich
Tess, das Leid und die Mühsal der vergangenen fünf Jahre zu vergessen und sich
über Olivias Glück zu freuen. Aber als sie die diamantbesetzten Kämme
betrachtete, konnte sie doch nicht umhin, daran zu denken, wie sie ohne all
diese Dinge gelebt hatten.
Als die Trauung vorüber war und
Küsse und Gratulationen ausgetauscht worden waren, forderte Asa Tess und Rod
mit jungenhaft verschmitztem Lächeln auf, ein gutes Restaurant und eins von
Portlands berühmten Unterhaltungslokalen aufzusuchen.
»Er will uns loswerden«, flüsterte
Rod seiner Schwester zu.
Tess errötete. Sie hätte sich
eigentlich lieber auf ihr Zimmer zurückgezogen. War es möglich, daß Asa und
ihre Mutter ihre Ehe ... vollziehen wollten? Aber darüber mußten sie doch
längst hinaus sein, oder? Und Olivia war so krank gewesen ...
»Komm schon, Tess«, beharrte Rod und
zog Tess ungeduldig aus dem Raum. Mit der anderen
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