Corbins 03 - Wer dem Zauber der Liebe verfaellt...
wußte
es. Ihr Vater würde noch leben, wenn sie keine solche Hure gewesen wäre und
nicht diese Lügen über Joel Shiloh verbreitet hätte. Und wenn sie sich nicht
Roderick Waltam in die Arme geworfen hätte ...
Und jetzt war nicht einmal Tess
hier, um sie zu trösten, um alles zu erklären und Emma zu versichern, daß es
doch nicht ihre Schuld war!
Während Emma ihre Reisetasche
packte, zuckte ein schmerzhafter Krampf durch ihren Bauch, dann breitete sich
eine feuchte Wärme zwischen ihren Schenkeln aus. Emma wußte nicht viel über die
Funktionen des weiblichen Körpers, aber eins war ihr klar: wenn ihre monatliche
Regel gekommen war, konnte sie nicht schwanger sein.
Trotz ihrer Naivität entging Emma
nicht die Ironie der Lage. Da sie blutete, konnte sie nicht schwanger sein. Sie
hätte also auch nicht zu lügen brauchen und über den Vorfall schweigen können.
Wenn sie gewartet hätte, nur diese paar Stunden, wäre alles ganz anders
gekommen.
Um diese Zeit fuhren keine Schiffe
und keine Züge mehr. Es war dunkel und kalt, und aus dem Blue Hammer Saloon drangen lautes Pianogeklimper und lachende Stimmen.
Hört auf damit, dachte Emma, als sie
ihre Tasche vor Deroras Pension abstellte und auf die Tür zuging. Und bevor ihr
zu Bewußtsein kam, daß Tess gar nicht mehr da war, hatte sie schon angeklopft.
Derora war in gnädiger Stimmung. Warum
sollte sie auch nicht, wo sie doch endlich von ihrem Gästehaus befreit war, von
Tess und Simpkinsville? Sie zog die verwirrte, stammelnde Emma ins Haus und
fragte sie behutsam aus, bis sie begriff, daß Jessup tot war und Cornelia ihre
Tochter dafür verantwortlich machte.
Doch nicht einmal die sanfteste
Frage konnte Emma dazu bringen, Derora zu verraten, was Missis Hamilton zu
einer solchen Anklage veranlaßt hatte.
»Ich verlasse Simpkinsville heute
abend, Emma«, sagte Derora. »Ich habe eine Kutsche gemietet, damit ich noch
heute abreisen kann. Ich fahre nach Portland und habe vor, unterwegs einige
Besuche zu machen. Willst du mich nicht begleiten? Ich bin sicher, daß Tess in
Portland ist. Vielleicht finden wir sie, und ihr beide könnt euch zusammen ein
Zimmer mieten.«
Emmas Gesicht hellte sich ein
bißchen auf. »Ich muß Tess sehen«, bestätigte sie.
»Gut, dann kommst du mit. Aber laß
uns noch eine Tasse Tee trinken, bevor wir uns auf den Weg machen.«
Emma nickte, und Derora ging in die
Küche, um eine kurze Nachricht an Cornelia Hamilton zu schreiben, in der sie
Emmas Mutter ihr Beileid aussprach und ihr versicherte, daß sie sich um Emma
kümmern werde. Dann schickte sie Juniper mit der Nachricht fort, kochte Tee und
beglückwünschte sich dazu, ein solch guter Mensch zu sein.
Von Portland würde sie natürlich
nach San Francisco weiterreisen, und von dort — ach, wer konnte das schon
wissen? Emma konnte sich als unangenehme Bürde erweisen, falls sie Tess nicht
fanden ...
Derora zuckte die Schultern. Wenn
Tess nicht aufzufinden war, würde sie Emma zu ihrer guten Freundin Missis
Hollinghouse-Stone schicken. Lavinia war eine reiche Witwe und führte ein
großes Haus, in dem ganz bestimmt eine Stellung für ein liebes Kind wie Emma zu
finden war.
Tess' Kehle war wie zugeschnürt vor
Verzweiflung, und sie starrte schweigend auf ihren Teller mit dem appetitlichen
Roastbeef.
»Iß«, befahl Rod ungeduldig.
Er ist fort, dachte Tess bedrückt.
Er ist fort. Es war fast, als sei Keith tot, so tief empfand sie seinen
Verlust. »Ich habe keinen Hunger«, sagte sie.
Rod strich Butter auf eine Scheibe
Brot und sagte gedehnt: »Trauerst du deinem Hausierer nach, meine Liebe?«
Fing er schon wieder damit an? Tess
ertrug es einfach nicht. »Ja, wenn du es unbedingt wissen willst«, entgegnete
sie kühl.
»Jetzt verstehe ich, warum du so
verärgert warst, als du hörtest, daß ich deine Freundin verführt habe«,
bemerkte Rod, und Tess sah ihm an, daß er nun wieder gemein werden würde.
»Unser Freund Joel Shiloh hat dir das gleiche angetan, nicht wahr?«
»Nein!«
»Du bist nicht nur schön, du bist
auch eine Lügnerin, Tess. Wenn du das Fleisch nicht ißt, gib es mir.«
»Warum behandelst du mich so?«
flüsterte Tess und bemühte sich, nicht vor ihm loszuweinen. »Ich kann nichts
dafür, daß ich so ... daß ich eine ...«
»Daß du ein Bastard bist«, warf Rod
hilfreich ein.
Tess hob ihr Glas und schüttete
seinen Inhalt in das grinsende Gesicht ihres Halbbruders. Der Wein tropfte wie
roter Regen von seinen Augenbrauen, färbte sein Gesicht, sein
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