Corbins 03 - Wer dem Zauber der Liebe verfaellt...
Roderick Waltaram-Thatcher oder wie immer er auch heißen mochte.
Es war immer noch besser, als an Olivias bevorstehende Abreise zu denken...
»Du könntest mit uns kommen«, schlug
Olivia vor, während sie den Fleck auf dem gelben Batist untersuchte.
»Vielleicht würdest du in St. Louis einen netten jungen Mann kennenlernen. Du
könntest auch ein College besuchen oder ...«
»Ich kann dich nicht begleiten,
Mutter«, wandte Tess abwehrend ein. »Ich fühle ... weißt du, ich glaube, mein
Leben ist hier. Ich kann es dir nicht erklären, aber ...«
»Nenn es Schicksal«, unterbrach
Olivia sie mit bemerkenswerter Sicherheit, wenn man bedachte, was sie alles
durchgemacht hatte. »Du hast schon einen Mann kennengelernt, nicht wahr,
Tess?«
Das Direkte der Frage, das
Unerwartete machte es Tess unmöglich, mit einer Lüge zu antworten. »Ja«, sagte
sie bedrückt.
»Ist er verheiratet?«
Eine heftige Erwiderung lag Tess auf
der Zunge, aber sie hielt sie zurück. Keith war vielleicht nicht mit einer
lebenden Frau verheiratet, aber gebunden war er trotzdem an die tote Amelie.
»Er ist Witwer, Mama.«
Olivia seufzte erleichtert. Wer
kannte die Qual, einem verheirateten Mann anzugehören, besser als sie? Die
Schande, das Warten, die Unsicherheit ... »Besteht eine Hoffnung auf ein Leben
mit diesem Mann, Tess? Kann er — will er — dir ein Zuhause geben? Wirst du
seinen Namen tragen und ihm Kinder gebären?«
Tess senkte beschämt den Kopf. »Ich
glaube nicht, Mutter. Aber ich werde auch nicht seine Geliebte sein. Ich werde
arbeiten und lernen und ... vielleicht eines Tages einem anderen Mann
begegnen.«
Sanft berührte Olivia das Gesicht
ihrer Tochter. »Du bist sehr weise, meine Kleine. Ich habe Asa immer geliebt,
vom ersten Augenblick an, und nur ihn, und deshalb haben wir so leiden müssen,
du und ich. Ich kann nicht sagen, daß ich es nicht noch einmal tun würde,
gesetzt den Fall, ich könnte von vorne beginnen. Das ist egoistisch von mir,
ich weiß, aber was Asa betrifft, besitze ich keinen Stolz. Ich bin dazu
geboren, bei ihm zu sein.«
Tess brachte kein Wort heraus. Die
Kraft der Liebe, die diese Frau für Asa Thatcher empfand, erfüllte die Atmosphäre
so stark, daß Tess der Atem stockte.
»Einige wenige Dinge scheine ich
allerdings richtig gemacht zu haben, Tess. Schau dich an — du bist stark, du
bist schön, und du bist unabhängig. Teilweise vielleicht, weil Asa immer an
erster Stelle bei mir kam und ich mich nie bemüht habe, es zu verbergen.«
Tess sagte noch immer nichts. Es tat
weh, ihre Mutter dies aussprechen zu hören, obwohl sie es schon immer gewußt
hatte.
Olivia umfaßte die Schultern ihrer
Tochter. Ihre Hände zitterten ein wenig. »Es ist nicht leicht für eine Mutter,
es ihrer Tochter einzugestehen. Es fällt mir wirklich schwer. Aber wir waren
immer ehrlich zueinander, du und ich. Und selbst wenn es dich jetzt ein bißchen
schmerzt, wirst du es eines Tages verstehen.«
Manchmal verstand Tess, aber jetzt
war nicht ein solcher Augenblick. »Warum, Mutter? Was habe ich falsch gemacht?
War ich schlecht?«
»Du warst und bist ein Geschenk des
Herrn. Ich habe dich zärtlich geliebt, und so wird es immer sein. Aber eine
Frau sollte ihren Mann mehr lieben als ihre Kinder, Tess. Das klingt hart, ich
weiß, aber wenn du einen Mann liebst wie ich Asa — und ich hoffe, daß es eines
Tages dazu kommen wird —, wirst du es begreifen.«
»Was ich nicht begreife, Mutter, ist
deine Treue zu diesem Mann!« platzte Tess heraus, weil sie den schwachen
Zustand ihrer Mutter für einen Moment vergessen hatte.
Aber Olivia wirkte alles andere als
schwach. Sie richtete sich sehr gerade auf, und ihre dunklen Zigeuneraugen
blitzten. »Ich schätze mich glücklich, ihn zu kennen und ihn zu lieben. Und
selbst wenn ich nie seine Frau hätte werden können, wäre ich weiterhin mit
Freuden seine Mätresse gewesen!«
»Das ist es, was uns unterscheidet,
Mutter. Ich werde nie das Spielzeug eines Mannes sein. Ich lasse mich nicht
besuchen, wenn er gerade nichts Besseres zu tun hat! Ich lasse mich nicht
verstecken wie ein beschämendes Laster und mich mit Geschenken zum Schweigen
bringen! So sehr könnte ich einen Mann nie lieben.«
Für einen Moment sah es aus, als
wollte Olivia ihre Tochter schlagen. Aber der Schlag war nicht körperlicher,
sondern geistiger Natur. »Dann bedauere ich dich, mein liebes Kind. Du tust mir
von ganzem Herzen leid.«
Unter dem Vorwand, ein anderes Kleid
aus dem Schrank holen zu
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