Corbins 03 - Wer dem Zauber der Liebe verfaellt...
hinausging.
Sie beschloß, ihr Fahrrad
hinunterzubringen und zu ihrem Laden zu fahren. Vielleicht konnte sie von der
anderen Straßenseite aus ein paar Aufnahmen machen. Das Lokal war jetzt sauber
und neu gestrichen, und auf den glänzenden Fensterscheiben stand in goldenen
Lettern: >Fess Bishop<.
Tess wußte nicht, ob es Glück oder
Pech war, daß sie Keith Corbin auf dem Korridor des dritten Stocks begegnete.
»Hallo, Kleines«, sagte er ruhig,
und Tess stellte verwundert fest, wie elegant er gekleidet war — er trug einen
gutgeschnittenen Anzug aus grauem Tuch, eine farblich passende Seidenweste und
glänzende schwarze Stiefel.
Es war ein Schock für Tess, ihn so
unvermutet zu sehen und einsehen zu müssen, daß er gar kein Hausierer war — und
nie wirklich einer gewesen war.
Sie drehte den Kopf, und ihr langes
Haar schwang wie ein dichter Vorhang über ihre Schultern. Eigentlich hatte sie
es aufstecken wollen, aber dann im Hinblick auf das Fahrradfahren darauf
verzichtet. »Ich habe jetzt einen eigenen Laden«, sagte sie, denn plötzlich war
es ungemein wichtig für sie, ihm zu beweisen, daß sie eigene Pläne besaß.
»Und einen Liebhaber?«
Die Frage verwirrte Tess. »Wie
bitte?«
»Roderick Waltam. Der Schauspieler.«
»Rod? Mein Liebhaber?« Tess lachte
kurz und straffte dann die Schultern. »Wohl kaum. Er ist mein Halbbruder.
Übrigens war es sehr gemein von dir, ihn auf diese Weise anzugreifen.«
Keith lächelte schwach. »In welcher
Weise hätte ich ihn denn angreifen sollen, Kleines?«
Tess errötete. »Du hättest ihn
überhaupt nicht angreifen dürfen!«
»Ich wußte nicht, daß er dein Bruder
ist«, erwiderte Keith, als erklärte das alles, nahm ihr das Fahrrad aus der
Hand und begann es über den Korridor in die Halle zu schieben. »Apropos
Brüder«, fuhr er fort, als sie die Aufzugtür erreichten und er den Knopf
gedrückt hatte. »Ich hörte, daß du meine schon kennengelernt hast.«
Wieder errötete Tess. »Ja«, gab sie
zu und dachte voller Beschämung an den Ort und die Art und Weise ihrer
Begegnung.
»Sie sind fort«, erzählte Keith
weiter. Der Aufzug kam mit einem beängstigenden Quietschen vor ihnen zum
Stehen.
Tess war erleichtert, in gewisser
Weise waren Keith' Brüder ihr so unheimlich wie dieser Aufzug. Doch sie sagte nur:
»Oh«, und folgte Keith in das stählerne Ungeheuer, das sich ächzend in
Bewegung setzte.
Keiner von ihnen sprach, bis der
Lift erneut zum Stehen kam. Dann fragte Keith: »Möchtest du mir nicht deinen
Laden zeigen, Kleines? Ich würde ihn wirklich gern sehen.«
Tess wußte, daß es besser gewesen
wäre, nein zu sagen, um ihm nicht zu zeigen, wo sie leben und arbeiten würde,
aber dazu war sie nicht imstande. Auch die Einsicht, daß sie alles, aber
auch wirklich alles für ihn getan hätte, war kein Trost, denn sie wußte,
daß er sie nach Lust und Laune zu seiner Geliebten machen konnte, zu seiner
Mätresse oder zu seiner Frau ...
»Es ist nicht weit, höchstens fünf
Minuten«, hörte sie sich sagen.
»Dann können wir laufen. Oder mit
dem Fahrrad fahren.« Er betrachtete das stählerne Gefährt mißtrauisch, schob
es jedoch bereitwillig über den Bürgersteig.
»Ich bleibe nicht hier im Hotel«,
sagte Tess. »Über dem Laden ist eine kleine Wohnung. Dort werde ich leben.«
Keith blieb abrupt stehen. »Allein?« fragte er empört. »Ja«, antwortete Tess
trotzig. »Allein.«
Keith schien nachzudenken, dann
erschien ein Lächeln um seinen Mund. »Allein«, wiederholte er, und diesmal
klang es nicht empört, sondern eher interessiert.
»Du brauchst nicht zu denken, daß
sich damit etwas für dich ändert!«
Er lachte nur und begann
weiterzugehen, und Tess fragte sich, was in seinem Kopf vorgehen mochte.
Es war eine Erleichterung und auch
ein Problem, als sie die Ladentür erreichten. Tess' Hände zitterten, als sie
den Schlüssel aus ihrer Tasche holte und aufschloß. Dabei war ihr die ganze
Zeit bewußt, daß Keith sie beobachtete und auf Einlaß wartete — an einen Ort,
dessen Herr er werden konnte, falls es ihm beliebte, obwohl er kein Recht dazu
besaß. Nicht das geringste!
Der kleine Raum roch angenehm nach Tannenseife
und frischer Farbe. Die Wände waren weiß getüncht und mit massiven Holzregalen
versehen; die breite Theke bestand aus poliertem Mahagoni. Sogar der kleine
Ofen schimmerte und glänzte wie die Rüstung eines großen Ritters.
Keith stellte Tess' Kamera auf die
Theke und schaute sich interessiert um. »Wirklich nett,
Weitere Kostenlose Bücher