Cordina's Royal Family 1-4
Palast.” Bennetts Augen nahmen einen sanften Ausdruck an, als er an das erste Kind seines Bruders dachte. „Vielleicht, weil sie Eve so ähnlich sieht.”
Hannah entzog ihm ihre Hand. Sie hatte von den Gerüchten gehört, Bennett sei ein wenig, oder vielleicht auch mehr als ein wenig, in die Frau seines Bruders verliebt gewesen. Man brauchte gar kein so guter Beobachter wie sie zu sein, um aus seiner Stimme die Zuneigung herauszuhören. Sie nahm sich vor, es im Gedächtnis zu behalten, ob es ihr später von Nutzen war oder nicht.
„Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, Hoheit. Ich sollte in mein Zimmer zurückgehen.”
„Es ist noch früh.” Er zögerte, sie gehen zu lassen.
„Ich ziehe mich für gewöhnlich früh zurück.”
„Ich begleite Sie.”
„Machen Sie sich bitte keine Umstände. Ich kenne den Weg. Gute Nacht, Hoheit.” Sie verschmolz rasch mit den Schatten, während die Hunde winselten und mit den Schwänzen gegen seine Beine klopften.
Was hat sie nur an sich? fragte sich Bennett, als er sich bückte, um seine Hunde zu streicheln. Auf den ersten Blick wirkt sie so unauffällig, und doch …Er wusste es nicht. Aber als er auf den Palast zuging, gefolgt von seinen beiden Hunden, versuchte er, die Antwort darauf zu finden. Wenn es schon zu sonst nichts führte, der Versuch, unter Lady Hannahs ruhige Oberfläche vorzudringen, konnte ihn zumindest von Deboque ablenken.
Hannah wartete nicht, um zu sehen, ob er ihr folgte, sondern ging rasch durch die Gartentür. Sie besaß die angeborene Fähigkeit, sich lautlos zu bewegen, so unauffällig, dass sie in einer Gruppe von drei Leuten leicht unbemerkt blieb. Diese Fähigkeit hatte sie im Laufe der Zeit zu einem wahren Geschick entwickelt, und es war ihr von großem Vorteil.
Geräuschlos stieg sie die Treppe hinauf, ohne sich ein einziges Mal umzusehen. Wenn man überprüfen musste, ob man verfolgt wurde, steckte man bereits in Schwierigkeiten. Einmal in ihrem Zimmer, verschloss sie die Tür und schlüpfte aus ihren praktischen Pumps. Da die Frau, die sie zu sein vorgab, niemals ihre Kleidung verstreut herumliegen lassen würde, hob Hannah die Schuhe auf und stellte sie, mit nur einem kurzen widerwilligen Blick, ordentlich in den Wandschrank.
Während sie kontrollierte, ob die Vorhänge zugezogen waren, streifte sie das unvorteilhafte Cocktailkleid ab.
Sie fand zwar, dass es in den Müll gehörte, hängte es aber dennoch sorgfältig auf einen gepolsterten Bügel.
Da stand sie nun, eine schlanke, kurvenreiche Frau mit zarter, weißer Haut und langen Beinen, in einem knappen, spitzenbesetzten Body. Sie zog die Nadeln aus ihrem Haar und ließ es mit einem Seufzer reinsten Genusses bis zu ihrer Taille fallen.
Jeder, der Lady Hannah Rothchild kannte, wäre von dieser vollständigen Verwandlung verblüfft gewesen, so war ihr diese zweite Rolle, die sie seit fast zehn Jahren spielte, vertraut geworden.
Lady Hannah hatte eine Leidenschaft für Seide und bretonische Spitze, beschränkte sie jedoch auf Nachtwäsche und Dessous. Leinen- und Tweedkleidung passte eher zu dem Bild, das sie mit viel Mühe von sich geschaffen hatte.
Lady Hannah las gern einen seichten Krimi in einem dampfenden Schaumbad. Auf ihren Nachttisch hatte sie jedoch ein Exemplar von Chaucer gelegt und konnte, falls man es von ihr verlangte, eine Hand voll schwer verständlicher Passagen daraus zitieren und darüber diskutieren.
Das alles war kein Fall von gespaltener Persönlichkeit, sondern von Notwendigkeit. Hannah hätte nach einiger gründlicher Überlegung feststellen können, dass sie mit ihren beiden Ichs zufrieden war. Ja, meistens gefiel ihr sogar die unscheinbare, höfliche und angemessen hübsche Hannah besonders gut. Andernfalls hätte sie die praktischen Schuhe niemals über einen längeren Zeitraum ertragen.
Aber es gab noch eine andere Lady Hannah Rothchild, einzige Tochter des Lord Rothchild, Enkeltochter des Earl of Fenton. Diese war nicht ruhig und bescheiden, sondern raffiniert und leichtsinnig. Mehr noch, sie liebte die Gefahr und besaß eine Beobachtungsgabe, mit der sie jedes noch so kleine Detail wahrnahm und es sich ins Gedächtnis einprägte.
Diese beiden Hannah Rothchilds zusammen ergaben eine ausgezeichnete und hoch qualifizierte Agentin.
Hannah öffnete die oberste Schublade ihrer Frisierkommode und nahm einen langen, geschlossenen Kasten heraus. Er enthielt eine Perlenkette, ein Erbstück von ihrer Urgroßmutter, und die dazu passenden Ohrringe, die ihr
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