Corum 01 - Der scharlachrote Prinz
sie.
»Aber es liegen Boote unten in den Höhlen am Meer, die seetüchtig gemacht werden können.«
»Das wird Monate dauern.«
»Wirst du mir einige deiner Gefolgsleute zur Verfügung stellen, die mir bei der Arbeit helfen können?«
»Ja«.
»Dann werde ich gleich mit ihnen sprechen.«
Corum ließ sie in der Kemenate zurück, verschloß sein Herz vor ihrem Kummer, erzürnt über sich selbst, weil er sie liebte.
Mit allen Männern, die auch nur ein wenig von Schiffen verstanden, stieg er die Stufen hinunter, die von den Burgkellern durch den Fels zu einer der Höhlen am Meer führten. Er fand eine Jolle, die in besserem Zustand als die anderen Boote schien. Er untersuchte sie gründlich.
Rhalina hatte recht. Es würde viel Zeit und Arbeit kosten, ehe man sich mit der Jolle aufs Meer wagen durfte.
Nun würde er zwar ungeduldig die Stunden zählen, aber jetzt, da er eine Hoffnung hatte - so gering sie auch war -, spürte er doch, wie der Druck, der bisher auf ihm gelastet hatte, ein wenig nachließ.
Er wußte, daß er seiner Liebe zu Rhalina nie müde würde, aber auch, daß er sie nie mit seinem ganzen Ich lieben konnte, solange er seine Aufgabe nicht erfüllt hatte.
Er eilte zur Bibliothek, um das Buch zu lesen, das sie erwähnt hatte. Er fand es und erfuhr, daß die gesuchte Insel Svian-Fanla-Brool genannt wurde.
Svian-Fanla-Brool. Kein sehr vertrauenerweckender Name. Soviel Corum daraus entnehmen konnte, hieß das soviel wie »Heim des unersättlichen Gottes.« Was mochte das bedeuten? Er studierte den Text, um eine Erklärung zu finden, aber vergebens.
Stunden vergingen, bis alle Karten kopiert und Hinweise notiert waren, die der Kapitän des Schiffes, der Mordelsberg vor dreißig Jahren anlief, zusammengestellt hatte. Es war schon sehr spät, als er endlich ins Bett kam und Rhalina dort vorfand.
Er betrachtete ihr Gesicht. Ohne Zweifel hatte sie sich in den Schlaf geweint.
Er wußte, daß es nun an ihm war, sie zu trösten.
Aber er hatte keine Zeit.
Er entkleidete sich und schlüpfte vorsichtig zwischen Seidentücher und Pelze, um sie nicht zu wecken. Aber sie rührte sich.
»Corum?«
Er antwortete nicht.
Er spürte ihren Körper beben, aber sie sagte kein Wort mehr.
Er setzte sich auf, voll innerlichem Zwiespalt. Er liebte sie. Er wollte sie nicht lieben. Er legte sich wieder nieder, versuchte zu schlafen, aber er vermochte es nicht.
Er tastete nach ihrer Schulter, streichelte sie.
»Rhalina?«
»Ja, Corum?«
Er holte tief Atem, wollte ihr erklären, daß er keine Ruhe finden würde, ehe Glandyth nicht tot war, aber daß er wiederkommen würde, wenn er seiner Rache Genüge getan hatte.
Statt dessen sagte er: »Stürme toben um Burg Mordel. Ich werde meine Pläne bis zum Frühjahr verschieben. Bis dahin bleibe ich.«
Sie drehte sich ihm zu, versuchte in der Dunkelheit sein Gesicht zu erkennen. »Du muß tun, was du für richtig hältst. Mitleid ist der Tod der wahren Liebe, Corum.«
»Es ist nicht Mitleid, was mich bewegt.«
»Ist es dein Sinn für Gerechtigkeit? Auch er ist - «
»Ich bemühe mich, mir selbst weiszumachen, daß nur mein Sinn für Gerechtigkeit, wie du es nennst, mich noch hierhält, aber ich weiß es besser.«
»Und warum bleibst du wirklich?«
»Mein Entschluß zu gehen, ist nicht mehr so drängend.«
»Woran liegt das, Corum?«
»Etwas in mir ist ruhiger geworden, und es gibt etwas, das vielleicht stärker ist. Es ist meine Liebe zu dir, Rhalina, die mein Verlangen nach Rache geschwächt hat. Es ist Liebe. Anders kann ich es nicht erklären.«
Und wieder begann sie zu weinen, doch diesmal nicht vor Kummer.
DAS ZEHNTE KAPITEL
Tausend Schwerter
Der Winter erreichte seinen Höhepunkt. Die eisigen Stürme rüttelten an den Türmen. Die See warf sich wütend gegen die Felsen von Mordelsberg, und manchmal überschütteten die haushohen Wogen die Burg mit ihrer Gischt.
Die Tage wurden fast so dunkel wie die Nacht. Gewaltige Feuer brannten überall in den Kaminen, aber sie vermochten die Kälte nicht gänzlich zu vertreiben, die sich überall eingeschlichen hatte. Dicke Woll-, Lederund Pelzkleidung mußte ständig getragen werden, um sich auch nur einigermaßen warm zu halten, und die Bewohner der Burg bewegten sich plump wie Bären.
Und doch bemerkten Corum und Rhalina, ein Mann und eine Frau verschiedener Rassen, kaum etwas von den Unbilden des Winters. Sie sangen einander Lieder oder schrieben Gedichte, die von ihrer tiefen Liebe sprachen. Es war wie ein
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