Corum 01 - Der scharlachrote Prinz
bleib hier, bei mir.«
»Soviel verspreche ich dir, Rhalina. Ich werde in den nächsten Tagen noch keine Entscheidung treffen.«
Und Corum traf einen ganzen Monat keine Entscheidung. Nach all dem Furchtbaren, das er gesehen und selbst erlebt hatte, benötigte seine Seele Zeit zu heilen, und das war sehr schwierig im ständigen Anblick seiner Verstümmelungen, jedesmal, wenn er versuchte, seine linke Hand zu benutzen, oder eine glänzende Fläche sein Gesicht widerspiegelte.
Wenn sie nicht bei ihm war, verbrachte Rhalina einen Großteil ihrer Zeit in der Burgbibliothek. Aber Corum hatte kein Bedürfnis nach Büchern. Er zog es vor, durch die Wehrgänge zu schreiten und über die Zinnen zu blicken oder bei Ebbe zum Festland zu reiten (obwohl es Rhalina jedesmal sehr beunruhigte, weil sie fürchtete, er könne einem der Ponystämme in die Hände fallen, die ständig die Gegend unsicher machten) und eine Weile durch den Wald zu traben.
Und obgleich seine Schwermut im Verlauf der glücklichen und friedlichen Tage immer geringer wurde, schwand sie doch nicht ganz. Manchmal übermannte sie Corum wie aus heiterem Himmel oder wenn ihn irgend etwas an sein Zuhause, an Burg Erorn, erinnerte.
Der Markgräfin Burg wurde schlicht Mordels Burg genannt und war auf einer Insel erbaut, die Mordelsberg hieß, nach dem Namen der Familie, die schon seit Generationen auf ihr lebte. Die Burg war voll interessanter Dinge. Es gab Schränke, die mit Porzellan und Elfenbeinschnitzereien gefüllt waren. Es gab Zimmer, die vollgestopft waren mit merkwürdigen Dingen, die im Laufe der Jahrhunderte aus der See geborgen worden waren. Es gab Gemächer, in denen Waffen und Rüstungen aller Art zur Schau standen, und andere mit Gemälden (plump gemalt, wie Corum dachte, verglichen mit jenen der Vadhagh), welche Szenen aus der Geschichte Lywm-an-Eshs darstellten und auch aus Legenden dieses Landes und aus Sagen, an denen das Volk von Lywm-an-Esh reich war. Solch phantastische Vorstellungen waren rar gewesen unter den Vadhagh, die nur an das glaubten, was sie sahen oder was sich beweisen ließ. Vielleicht faszinierten sie Corum gerade deshalb so stark. Er kam zu dem Schluß, daß viele der Sagen über magische Lande und unheimliche Tiere, aus einem bestimmten Wissen oder einer Sicht in andere Ebenen entstanden waren. Zweifellos war hin und wieder ein Blick in eine oder mehrere der Parallelebenen möglich gewesen, und die Urheber der überlieferten Erzählungen hatten das bißchen, das sie zu sehen bekommen oder von dem sie erfahren hatten, malerisch ausgeschmückt. Corum amüsierte sich köstlich, wenn er irgendeine der alten Sagen zu ihrem recht banalen Ursprung zurückzuverfolgen vermochte, vor allem, wenn diese Sagen sich mit den alten Rassen - den Vadhagh und Nhadragh - beschäftigten, denen sie die unwahrscheinlichsten übernatürlichen Kräfte zuschrieben. Diese Betrachtungen boten ihm auch einen Einblick in das Verhalten der östlichen Mabden, die in großer Scheu vor den alten Rassen gelebt hatten, bis sie dahinterkamen, daß auch diese sterblich waren und leicht getötet werden konnten. Es schien Corum, als wäre dieser brutale Rassenmord, den die Mabden begangen hatten, zum Teil dem Haß entsprungen, den sie für die Vadhagh empfanden, eben weil sie nicht diese großen Seher und Zauberer waren, für welche die Mabden sie ursprünglich gehalten hatten.
Aber diese Gedankengänge brachten nur die Erinnerungen und den Kummer und Haß zurück, und danach war Corum dann tagelang von Depressionen geplagt, gegen die nicht einmal Rhalinas Liebe ankam.
Aber eines Tages betrachtete er einen Wandteppich in einer Kemenate, in der er bisher noch nicht gewesen war. Dieser fesselte ihn immer stärker, je länger er die Bilder betrachtete und je intensiver er den eingestickten Text studierte.
Es war die ungekürzte Legende, die von den Abenteuern Magan- Mags, eines berühmten Volkshelden, berichtete. Magan-Mag war auf dem Rückweg aus einem magischen Land gewesen, als Piraten sein Schiff enterten. Diese Piraten hatten Magan-Mag Arme und Beine abgehackt und ihn über Bord geworfen. Dann hatten sie seinen Gefährten, Jhakor-Neelus, enthauptet und den Rumpf seinem Herrn nachgeschickt. Den Kopf jedoch hatten sie behalten, um ihn zu verspeisen. Schließlich war Magan-Mags armund beinloser Körper an den Strand einer geheimnisvollen Insel gespült worden, und Jhakor-Neelus' kopfloser Körper nicht unweit von ihm. Der Diener eines Zauberers fand dieses
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