Corum 01 - Der scharlachrote Prinz
Sechsfingerhand und das Juwelenauge.
Als er sich an das Auge erinnerte und was er alles damit erblickt hatte, erbebte er. Er tastete danach und berührte den Schild, der es bedeckte.
Jetzt wußte er, daß er mit Shools Geschenk auch die Logik von Shools Welt akzeptiert hatte. Es gab keine Flucht davor.
Seufzend erhob er sich und musterte die Klippen. Es war unmöglich, sie zu erklimmen. Er begann auf dem grauen Kies entlangzuwandern, in der Hoffnung, doch irgendwo eine Stelle zu entdecken, wo er auf den Klippenkamm klettern und sich von dort aus umsehen könnte.
Er nahm einen Handschuh, den Shool ihm gegeben hatte, und zog ihn über die sechs Finger. Er entsann sich, was Shool ihm über die Kräfte der Hand erzählt hatte, ehe er aufbrach. Er glaubte Shools Worten immer noch nicht so recht, wollte jedoch auch nicht ihre Wahrheit auf die Probe stellen.
Mehr als eine Stunde trottete er am Ufer entlang, bis er über eine Landzunge an eine Bucht kam, deren Seiten sanft aufstrebten und leicht erklimmbar zu sein schienen. Die Flut begann bereits zu steigen und würde in Kürze den Strand überschwemmt haben. Er fing an zu laufen.
Er erreichte den Hang und schnappte nach Luft. Er hatte sich gerade noch rechtzeitig in Sicherheit gebracht, denn die See bedeckte bereits den größten Teil des Strandes hinter ihm. Er kletterte den Hügel empor - und sah die Stadt.
Es war eine Stadt mit Kuppel und Minaretten, die weiß im Sonnenschein leuchteten. Als er sie jedoch näher betrachtete, stellte er fest, daß sie gar nicht weiß waren, sondern daß ihre Mauern sich aus einem vielfarbigen Mosaik heller Farben zusammensetzten. Nie zuvor hatte er Ähnliches gesehen.
Er überlegte, ob er die Stadt umgehen sollte. Wenn die Leute dort freundlich waren, würden sie ihm vielleicht sogar zu einem neuen Boot verhelfen. Handelte es sich jedoch um Mabden, waren sie vermutlich alles andere, als einem Fremden wohlgesinnt.
Waren diese Rhaga-da-Kheta überhaupt auf den Karten angegeben? Er tastete nach seinem Beutel, aber die Karten waren genau wie der Magneteisenstein mit der Jolle verschwunden. Wieder stieg Verzweiflung in ihm auf.
Er marschierte auf die Stadt zu.
Corum war nicht weiter als eine Meile gekommen, als die bizarre Reitergruppe auf ihn zustürmte. Es waren Krieger auf langhalsigen gefleckten Tieren mit Widderhörnern und Schuppenhaut. Die dünnen hohen Beine bewegten sich jedoch schnell, und bald erkannte Corum, daß die Reiter ebenfalls sehr groß und ungewöhnlich dünn waren und runde Köpfe mit runden Augen hatten. Es waren keine Mabden, aber sie gehörten auch keiner Rasse an, von der er je gehört hatte.
Er blieb stehen und wartete. Er konnte nichts anderes tun, ehe er nicht wußte, ob sie ihn als Freund oder Feind behandeln würde.
Flink umringten sie ihn und starrten mit ihren Kugelaugen auf ihn herunter. Ihre Nase und ihr Mund waren ebenfalls rund, und das gab ihnen einen Ausdruck steten Erstaunens.
»Olanja ko?« fragte einer, der einen prunkvollen Umhang aus bunten Federn mit einer Kapuze trug und eine Keule in der Hand hielt, die wie die Klaue eines Riesenvogels aussah. »Olanja ko, drajer?«
In der vereinfachten Sprache der Vadhagh und Nhadragh, wie die Mabden sie benützten, erwiderte Corum. »Ich verstehe Euch nicht.«
Das Wesen im Federumhang legte seinen Kopf schief und schloß den Mund. Die anderen Krieger, alle ähnlich gekleidet und bewaffnet, gurrten untereinander.
Corum deutete südwärts. »Ich komme von jenseits der See.« Nun benutzte er die Hochsprache der Vadhagh und Nhadragh.
Der Reiter lehnte sich vor, als wären ihm diese Laute vertrauter, aber dann schüttelte er den Kopf.
»Olanja ko?«
Auch Corum schüttelte das Haupt. Der Krieger starrte ihn verwirrt an, dann kratzte er sich, Corum auffordernd anblikkend, an der Wange. Corum vermochte diese Geste genausowenig zu verstehen wie seine Worte.
Der Anführer winkte einem seiner Mannen. »Mor naffa!«
Der Reiter sprang von seinem Tier und gestikulierte Corum aufzusitzen.
Nicht ganz ohne Schwierigkeit kletterte Corum auf den schmalen Sattel. Er fühlte sich dort gar nicht wohl.
»Hoj!« Der Anführer winkte seinen Leuten und lenkte sein Reittier auf die Stadt zu. »Hoj-ala!«
Die Tiere preschten los und ließen den nun Unberittenen zurück.
Die Stadt war von hohen Mauern umgeben, die mit geometrischen Mustern in tausend Farben bemalt waren. Sie ritten durch ein hohes, nicht sehr breites Tor, dann zwischen einer Reihe von
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