Corum 04 - Das kalte Reich
etwas wahrzunehmen. So konnte Corum sich selbst und sein Pferd warmhalten und sich warmes Essen gönnen. Ohne diesen Komfort wäre sein Ritt in der Tat eine erbärmliche Reise geworden.
Was Corum traurig stimmte, waren die zurückgelassenen Möbel, die reichen Verzierungen und die kleinen Schmuckstücke in den menschenleeren Häusern. Hier hatte es keine Plünderungen gegeben, schloß Corum, und er schloß daraus, daß die Fhoi Myore kein Interesse an von Menschen geschaffenen Dingen hatten. Aber in einigen der Dörfer, die am weitesten östlich lagen, gab es Spuren, die keinen Zweifel daran ließen, daß die Hunde des Kerenos auf ihren Jagdzügen hierher gekommen waren und reichliche Beute gefunden hatten. Zweifellos war das der Grund, warum aus allen Dörfern die Menschen geflohen waren und in den alten Festungen ihrer Vorfahren Schutz gesucht hatten, Festungen wie Caer Mahlod.
Corum konnte sehen, daß hier eine vielschichtige, hochentwickelte Kultur geblüht hatte, ein reiches Volk von Ackerbauern, das Zeit gefunden hatte, seine künstlerischen Fähigkeiten zu entwickeln. In den verlassenen Siedlungen fand er Bücher, Malereien, Musikinstrumente neben eleganter Goldschmiedearbeit und Töpferei. Diese Dinge waren es, die ihn so traurig stimmten. War sein Kampf gegen die Schwertherrscher schließlich doch vergeblich gewesen? Lywm-an-Esh, für das er gekämpft hatte, wie für sein eigenes Volk, war untergegangen, und was dieser Kultur folgte, wurde nun auch zerstört.
Nach einer Weile mied er die verlassenen Dörfer und suchte Höhlen, in denen er die Nacht verbringen konnte, ohne ständig an die Tragödie der Mabden erinnert zu werden.
Eines Morgens, als er noch kaum eine Stunde geritten war, kam er zu einer breiten Senke im Hochmoor, in deren Mitte ein gefrorener Tümpel lag. Nordöstlich des kleinen Sees sah er etwas, das er zunächst für einen der alten Steinzirkel hielt, wie ihn die Mabden zu kultischen Zwecken errichteten. Aber dort mußten mehrere hundert mannshohe Steine stehen, während die Zirkel sonst aus nicht mehr als einem Dutzend Blöcken gebildet wurden. Wie überall in diesem Moor lag tiefer Schnee, und Schnee bedeckte die Steine.
Corums Weg führte auf der anderen Seite an dem Teich vorbei. Er hatte nicht vor, die Monumente (denn dafür hielt er die Steine) aufzusuchen, bis er plötzlich meinte, eine Bewegung aus den Augenwinkeln wahrgenommen zu haben, etwas Schwarzes gegen das allgegenwärtige Weiß. Eine Krähe? Er beschattete die Augen und starrte zu den Steinen hinüber. Nein, etwas Größeres. Ein Wolf vielleicht? Falls es sich um einen Hirsch handelte, Corum brauchte dringend Fleisch. Er zog seinen Bogen aus dem Futteral und spannte ihn. Die Lanze schob er hinter sich, um freies Schußfeld zu haben. Dann trieb er sein Pferd mit den Fersen vorwärts.
Als er sich jetzt den Steinen näherte, erkannte er, daß sie für einen Steinzirkel völlig untypisch waren. Sie waren viel zu fein gestaltet, so daß sie einem Vergleich mit den besten Statuen der Vadhagh aushielten. Und es war unverkennbar, was sie darstellten Männer und Frauen bereit zur Schlacht. Wer hatte diese Statuen geschaffen und zu welchem Zweck hatte er das getan?
Wieder sah Corum die Bewegung eines dunklen Schattens. Dann war die Gestalt wieder hinter den Statuen verschwunden. Corum fühlte sich durch diese Standbilder an etwas erinnert. Hatte er Ähnliches schon einmal gesehen?
Dann erinnerte er sich. Ihm fielen die Abenteuer im Reich der Schwertkönigin Xiombarg wieder ein. Dort hatte er die erstarrte Armee gesehen. Corum wehrte sich gegen die Wahrheit. Er wollte nicht wahr haben, was er da vor sich sah.
Aber jetzt war er so nah an die erste der Statuen herangekommen, daß er der Erkenntnis nicht mehr ausweichen konnte.
Hier standen keine Statuen.
Hier standen die erstarrten Leichen eines Volkes, das sehr den hochgewachsenen, schönen Menschen der Tuha-na-Cremm Croich glich; erstarrt, als sie in den Kampf gegen den Feind zogen. Corum konnte noch ihren Gesichtsausdruck, ihre Haltung erkennen. Er sah den Ausdruck entschlossenen Mutes auf allen Gesichtern, den Gesichtern von Männern, Frauen, jungen Burschen und Mädchen. Bogen, Äxte, Schwerter, Schleudern und Messer hielten sie noch in den Händen. Sie waren hierher gekommen, um gegen die Fhoi Myore zu kämpfen, und die Fhoi Myore hatten ihren Mut mit diesem diesem Ausdruck der Verachtung für die Tapferkeit und die Entschlossenheit dieser Menschen beantwortet. Nicht
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