Coruum Vol. 3
vor dem äußeren Eingang der Arche.
Genau wie auf dem Bild war er mit einfachem Tuch bekleidet, barfuß und weit über zwei Meter groß. Eine breite Schärpe war um seine Taille geschlungen, er stützte sich auf einen dunklen Speer, dessen Spitze in dem gleichen Blauschwarz leuchtete wie der Stab von Syncc Marwiin. Die dunklen Augen des Mannes sahen mich an. Feine Fältchen in den Augenwinkeln, tadellose Zähne, keinerlei Schmuck, nur eine glänzende Rune war in leuchtendem Gelb auf der Brust seines Gewandes zu erkennen – das gleiche Zeichen wie auf dem Bucheinband des Höhlengemäldes vor dem äußeren Tor des Archenkomplexes.
Er sprach zu mir.
Ich verstand nicht ein Wort. Er wiederholte sich, lächelte und deutete auf die Lichtung. Das alles wirkte so echt, dass ich das Gefühl hatte, ihn berühren zu können.
»Das ist der Mann von dem Bild oben in der Höhle, Don!«, raunte mir Sturgis ins Ohr.
»Ja«, flüsterte ich voller Ergriffenheit zurück, »was will er?«, richtete ich meine Frage an den alten Mann.
»Ich verstehe es auch nicht, Freund, ich denke, er möchte uns etwas zeigen«, antwortete er leicht amüsiert – möglicherweise über mich, wie ehrfurchtsvoll ich über eine Lichterscheinung sprach – nahm seinen Stab und ging dicht an den Mann heran.
Der kniete nieder, pflückte einen der Pilze, hielt ihn Syncc Marwiin hin, biss dann genüsslich hinein und begann mit entrücktem Gesichtsausdruck zu kauen. Als er ihn aufgegessen hatte, deutete er die Lichtung hinunter zur Baumgrenze, an der ich eine Bewegung wahrzunehmen meinte.
Eine Gruppe von Hominiden, auf den ersten Blick als sichere Aufrechtgänger zu erkennen, betrat vorsichtig die Lichtung. Die Neuankömmlinge blieben einen Moment lang regungslos stehen und musterten die Lichtung aufmerksam. Nachdem sie wohl beruhigt waren, niemanden sonst hier anzutreffen (durch uns sahen sie geflissentlich hindurch), ließen sie sich am Waldrand nieder und begannen unter der zunehmenden Verbreitung befriedigter Laute von den Pilzen zu essen.
Wir gingen langsam an sie heran, folgten dem Sole-Sourcer in gebührendem Abstand, nur Sinistra blieb zurück, kniete nieder und besah sich eine Gruppe der Pilze aus der Nähe.
»Eine Sippe, Syncc Marwiin. Sie folgen bereits einem hierarchischen System«, warf ich ein und deutete auf zwei der kleineren Hominiden, die dem größten ab und zu Pilze reichten, welche der nach gespielter Begutachtung mit langen Klauen schmatzend verzehrte. Es waren auffällig viele jüngere Sippenmitglieder anwesend. Auf ungefähr acht oder neun Erwachsene kamen hier an die zwanzig Jugendliche und Kinder.
»Sie sind ziemlich groß im Vergleich zu den Bildern von Neandertalern«, sprach Sturgis eine Auffälligkeit an, die mir ebenfalls in den Sinn gekommen war.
»Achtet auf ihre Hände«, sprach der alte Mann, »fallen Euch Unterschiede auf, Freund?«
Ich stutzte. Ihre Hände sahen erstaunlich menschlich aus. Eine Behaarung war nur sehr fein auf dem Handrücken zu erkennen. Auffällig dagegen waren ihre langen Fingerkuppen, die in klauenförmige Nägel übergingen, die sehr scharf und gefährlich wirkten. Insgesamt glichen die Hominiden nicht mehr dem ›typischen‹ Urmenschen, ihre Haltung war absolut aufrecht, Überaugenwülste waren kaum noch wahrnehmbar. Die Kopfform war länglich, ich entdeckte keine Spur einer fliehenden Stirn – ihr Gehirn hatte bereits ausreichend Platz, sich zu entwickeln.
Ein aufkommendes, lautes Geschrei der Sippe und wütende Gesten lenkten unsere Aufmerksamkeit auf das gegenüberliegende Ende der Lichtung, wo eine zweite, kleinere Gruppe von Hominiden, im Entwicklungsstand wesentlich dichter am Urmenschen diesmal, sich langsam und vorsichtig aus dem Wald hervorwagte, um einige der Pilzgewächse zu pflücken.
Der Lärm der ersten Gruppe wurde ohrenbetäubend und aggressiv. Mit deutlich drohenden Gebärden, Keulen und Knüppel zückend, liefen das Oberhaupt und die stärksten Mitglieder der Sippe über die Lichtung an uns vorbei auf die Ankommenden zu und attackierten sie sofort auf das Heftigste, prügelten wie von Sinnen auf sie ein und verschonten auch kleinere Exemplare, die zu fliehen versuchten, nicht.
Nach fünf oder sechs Minuten war alles vorbei. Der Kampf war äußerst heftig gewesen, viele der siegreichen Angreifer hatten tiefe Wunden von gegnerischen Zähnen und Keulen davongetragen. Geschockt lief Sinistra zu dem Ort des Gemetzels, blieb stehen, die Hände vor ihr Gesicht geschlagen. Wir
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