Cosmopolis
im Linoleum, und dann gab es einen Spielzeugstuhl für Kinder, der war immer noch da, ein grüner Roadster mit rotem Steuerrad.
»Hab noch nie so rattiges Haar an einem Menschen gesehen.«
»Heute Morgen bin ich aufgewacht und wusste, es ist Zeit.«
»Du wusstest, wo du hinkommen kannst.«
»Ich hab mir gesagt. Ich will mir die Haare schneiden lassen.«
Der Mann zog die Sonnenbrille von Erics Kopf und legte sie auf die Ablage unter dem zimmerbreiten Spiegel, nachdem er sie gegen das Licht gehalten hatte.
»Vielleicht willst du erst mal was essen.«
»Ich könnte was essen.«
»Im Kühlschrank steht was, das hab ich mir fertig geholt, da geh ich dran, wenn’s mich überkommt.«
Er ging in das Hinterzimmer, und Eric sah sich um. Die Farbe kam von den Wänden und legte Flatschen aus rosig weißem Gips frei, und die Decke hatte an einigen Stellen Risse. Sein Vater hatte ihn vor vielen Jahren zum ersten Mal hierher mitgenommen, und vielleicht hatte der Laden damals besser ausgesehen, aber nicht viel.
Anthony stand auf der Türschwelle, in jeder Hand einen kleinen weißen Karton.
»Du hast also diese Frau geheiratet.«
»Stimmt.«
»Wo die Familie Geld hat wie wasweißich. Hätte nie gedacht, dass du so jung heiraten würdest. Aber was weiß ich schon? Ich hab zermanschte Kichererbsen und ich hab gefüllte Aubergine, mit Reis und Nüssen drin.«
»Gib mir die Aubergine.«
»Kriegst du«, sagte Anthony, blieb aber stehen, wo er war, in der Tür.
»Er war schnell hinüber, sobald sie es entdeckt hatten. Er bekam seine Diagnose, und dann war er bald hinüber. Es war, als hätte er an einem Tag noch mit mir geredet, und am nächsten war er schon hin. In meiner Erinnerung fühlt es sich so an. Ich hab auch noch die andere Aubergine, mit Knoblauch und Zitrone, alles vermanscht, falls du lieber das probieren willst. Er bekam seine Diagnose, das war im Januar. Sie entdeckten es und sagten es ihm. Aber er hat es deiner Mutter erst gesagt, als er musste. Im März war er schon hin. Aber in meiner Erinnerung fühlt es sich an wie ein oder zwei Tage. Höchstens zwei.«
Eric hatte das schon mehrere Male gehört, und der Mann benutzte fast immer dieselben Worte, mit leichten Variationen je nach Tagesform. Das genau erwartete er von Anthony. Dieselben Worte. Den Kalender von der Ölgesellschaft an der Wand. Den Spiegel, der neu belegt werden musste.
»Du warst vier Jahre alt.«
»Fünf.«
»Genau. Deine Mutter war der Kopf der Truppe. Das hast du von ihr. Deine Mutter war weise. Das hat er selbst gesagt.«
»Und du. Hältst du dich gut?«
»Du kennst mich, Junge. Ich könnte dir erzählen, dass ich mich nicht beklagen kann. Aber ich könnte mich absolut beklagen. Ich will bloß nicht.«
Er beugte sich in den Raum, nur mit dem Oberkörper, der alte stoppelige Kopf und die blassen Augen.
»Weil nicht genug Zeit ist«, sagte er.
Nach einer Pause ging er zu der Ablage vor Eric, setzte die Kartons ab und holte zwei Plastiklöffel aus seiner Brusttasche.
»Lass mich überlegen, was wir trinken könnten, was ich dahabe. Ich habe Wasser aus dem Wasserhahn. Ich trinke jetzt Wasser. Und es gibt eine Flasche Likör, die gibt’s schon, frag nicht wie lange.«
Er misstraute dem Wort Likör, also Anthony. Alles, was Anthony gesagt hatte, waren dieselben Worte, die er immer gesagt hatte und immer sagen würde, bis auf dieses eine Wort, das Eric nervös machte.
»Davon könnte ich was trinken.«
»Gut. Weil wenn dein Vater hier reinkäme und ich würde ihm Wasser aus dem Hahn anbieten, Gott behüte, der würde mir meinen letzten Stuhl rausreißen.«
»Und vielleicht könnten wir meinen Fahrer reinholen. Mein Fahrer sitzt draußen im Wagen.«
»Wir könnten ihm die andere Aubergine geben.«
»Gut. Das wäre nett. Danke, Anthony.«
Sie hatten halb aufgegessen und saßen da und redeten, Eric und der Fahrer, und Anthony stand da und redete. Er hatte einen Löffel für den Fahrer gefunden, und die beiden tranken Wasser aus Tassen, die nicht zueinanderpassten.
Der Fahrer hieß Ibrahim Hamadou, und wie sich herausstellte, waren er und Anthony beide Taxifahrer in New York gewesen, allerdings im Abstand von vielen Jahren.
Eric saß auf dem Friseurstuhl und beobachtete den Fahrer, der weder die Jacke auszog noch die Krawatte lockerte. Er saß auf einem Klappstuhl, mit dem Rücken zum Spiegel, und löffelte träge sein Essen in sich hinein.
»Ich hatte ein Checker Cab. Groß und kariert und schaukelig«, sagte Anthony. »Ich
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