Cotton Malone 04 - Antarctica
Läden voll.
Beilgesicht folgte ihnen noch immer und hatte sich in ein Lokal gesetzt, das schräg gegenüber von seinem und Christls Restaurant lag. Malone hatte um einen Tisch gebeten, der nicht direkt am, aber doch in der Nähe des Fensters lag, so dass er ein Auge nach draußen halten konnte.
Er wunderte sich über ihren Verfolger. Dass nur ein einziger Mann mit dieser Aufgabe betraut war, hieß, dass sie es entweder mit Amateuren zu tun hatten oder mit Leuten, denen es an Geld fehlte, um genug Hilfskräfte zu engagieren. Vielleicht hielt Beilgesicht sich auch für so gut, dass keiner ihn bemerken würde? Malone hatte schon oft Privatdetektive mit einem ähnlich großen Ego getroffen.
Drei der Führer hatte er bereits durchgeblättert. Genau wie von Christl angemerkt, hatte Karl der Große die Pfalzkapelle als sein »neues Jerusalem« betrachtet. Jahrhunderte später hatte Barbarossa diesen Standpunkt durch die Gabe seines vergoldeten Kupferleuchters bekräftigt. Vorhin war Malone eine lateinische Inschrift auf dem Leuchter aufgefallen, und in einem der Bücher war nun eine Übersetzung festgehalten. Die erste Zeile lautete: »Hier erscheinst du auf dem Bild, o Jerusalem, himmlisches Zion, Tempel des Friedens für uns und Hoffnung gesegneter Ruhe.«
Der Geschichtswissenschaftler Notker wurde mit den Worten zitiert, Karl der Große habe die Pfalzkapelle nach eigenen Vorgaben bauen lassen, und zwar so, dass Länge, Höhe und Breite in symbolischer Beziehung zueinander standen. Die Arbeit war zwischen 790 und 800 n. Chr. begonnen worden, und das Bauwerk war am 6. Januar 805 in Gegenwart des Kaisers durch Papst Leo III. geweiht worden.
Er griff nach einem neuen Buch. »Vermutlich haben Sie die Geschichte der Zeit Karls des Großen detailliert studiert?«
Sie hielt ein Glas Wein in der Hand. »Das ist mein Studiengebiet. Die karolingische Zeit ist eine Periode des Übergangs für die westliche Zivilisation. Vor ihm war Europa ein brodelndes Irrenhaus streitender Völkerschaften, es herrschten Unwissenheit und absolutes politisches Chaos. Karl der Große schuf die erste zentrale Regierungsgewalt nördlich der Alpen.«
»Und doch ging alles, was er erreicht hatte, nach seinem Tod zugrunde. Sein Reich zerfiel. Sein Sohn und seine Enkel zerstörten alles.«
»Aber seine Überzeugungen blieben. Für ihn lag das erste Regierungsziel im Wohlergehen des Volkes. Bauern waren für ihn menschliche Wesen, über die nachzudenken sich lohnte. Er regierte nicht um seines Ruhmes willen, sondern zum Wohle aller. Oft hat er gesagt, seine Aufgabe läge nicht darin, das Reich zu vergrößern, sondern ein Reich zu bewahren.«
»Und doch hat er neue Gebiete erobert.«
»Kaum. Nur einige Gebiete hier und da zu bestimmten Zwecken. Er war in beinahe jeder Hinsicht revolutionär. Die Herrscher seiner Tage sammelten normalerweise Muskelmänner um sich, Bogenschützen und Krieger, er aber berief Gelehrte und Lehrer.«
»Dennoch ging das alles unter, und Europa wartete weitere vierhundert Jahre, bevor es zu wirklichen Veränderungen kam.«
Sie nickte. »Das scheint das Schicksal der meisten großen Herrscher zu sein. Die Erben Karls des Großen waren nicht so weise wie er. Er war mehrmals verheiratet und zeugte viele Kinder. Keiner weiß, wie viele. Sein Erstgeborener, Pippin, der einen Buckel hatte, bekam nie die Chance zur Herrschaft.«
Die Erwähnung dieser Behinderung ließ ihn an Henrik Thorvaldsens verkrümmten Rücken denken. Er fragte sich, was sein dänischer Freund wohl derzeit tat. Thorvaldsen würde Isabel Oberhauser gewiss persönlich kennen oder zumindest über sie informiert sein. Einige Auskünfte über ihre Person wären hilfreich. Aber wenn er Thorvaldsen anrief, würde dieser sich wundern, warum er sich immer noch in Deutschland aufhielt. Da er die Antwort auf diese Frage selbst nicht wusste, ging er ihr lieber aus dem Weg.
»Pippin wurde enterbt, als Karl der Große von späteren Frauen gesunde, gerade gewachsene Söhne bekam. Pippin wurde zum verbissenen Gegner seines Vaters, starb aber vor Karl dem Großen. Ludwig war schließlich der einzige Sohn, der überlebte. Er war sanftmütig, tief religiös und gelehrt, schrak aber vor jedem Kampf zurück, auch fehlte es ihm an Festigkeit. Er wurde gezwungen, zugunsten seiner drei Söhne abzudanken, die das Reich bis 841 entzweirissen. Erst im zehnten Jahrhundert wurde es durch Otto I. neu errichtet.«
»Hatte der auch Hilfe? Durch die Heiligen?«
»Das weiß keiner.
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