Couchgeflüster
wir nicht warten. Du musst jetzt schon was unternehmen, Nelly. Auf gar keinen Fall darfst du tatenlos zusehen, wie alle zur Konkurrenz abwandern.»
«Ja, aber was soll ich bloß machen?»
«Hast du schon mal überlegt, sonntags doch Stunden anzubieten? Also ich wäre dann sofort wieder da», verspricht sie freudestrahlend.
Niemand kann einem so gut Mut machen wie Desiree. «Ich weiß, dass mein Stundenangebot nicht optimal ist», antworte ich. «Aber mit den großen Studios werde ich nie konkurrieren können, egal, ob ich nun sonntags auch noch unterrichte oder nicht. Ich versuche im Moment Kosten zu sparen und werde auch meine Wohnung aufgeben müssen. Falls dir also jemand über den Weg läuft, der eine Drei-Raum-Wohnung hier im Kiez sucht, meine wird frei.»
Mit sicherem Gefühl für theatralische Gesten lässt sich Desiree erschöpft auf einen der Stühle vor dem Wandgemälde nieder.
«Dann gib mir mal gleich deine Nummer.» Sie schlägt ihre langen schlanken Beine übereinander und angelt ihrHandy aus der Tasche. «Schon möglich, dass von meinen Kollegen aus der Telenovela jemand eine Bleibe sucht.» Mit flinken Fingern tippt sie ein, was ich ihr diktiere.
«Danke, das ist wirklich nett von dir, Desiree, damit würdest du mir sehr helfen.»
Sie erhebt sich und erklärt: «Für ’ne gute Yoga-Lehrerin mach ich das doch gerne.»
Traurig sehe ich ihr hinterher. Ich werde sie vermissen. Besonders ihr aufmunterndes Lächeln, das mir schon oft half, weiterzumachen.
Also: durchatmen und sich dem Positiven zuwenden, sage ich mir und öffne den Briefkasten. Zwischen drei anderen Schreiben steckt auch eins vom Studiovermieter.
Nanu, was will der denn schon wieder von mir? Er hat mir doch eben erst geschrieben. Irritiert öffne ich das Kuvert.
Sehr geehrte Frau Nitsche,
leider haben Sie nicht auf meinen Brief vom 3. Juni reagiert. Auch die rückständigen drei Mieten sind weiterhin offen. Hiermit möchte ich Sie letztmalig bitten, den Betrag innerhalb von zehn Tagen zu begleichen. Andernfalls sehe ich unser Mietverhältnis als beendet an und muss Sie zur unverzüglichen Räumung des Mietobjekts auffordern.
Sollte sich dieses Schreiben mit der säumigen Zahlung überschneiden, sehen Sie es bitte als gegenstandslos an.
Mit freundlichen Grüßen
Hermann Jacobi
Unverzügliche Räumung? Was soll der Blödsinn?
Ich werde doch bezahlen. Ich habe das Geld von der Kaution ja schon so gut wie in der Tasche. Theoretisch könnte ich noch heute einen Nachmieter finden, der dann morgen den Vertrag unterschreibt, und spätestens nächsten Montag habe ich die Kaution auf meinem Konto. Es handelt sich also nur noch um ein paar lächerliche Tage.
Wieso ist Jacobi denn so ungeduldig?, frage ich mich, als mir schlagartig einfällt, dass ich vergessen habe, ihn anzurufen. Aber jetzt passt es mir leider auch nicht. Jeden Moment wird mein Traummann auftauchen, und so ein unerfreuliches Telefonat würde mir nur jede Menge Sorgenfalten einbringen. Ich will doch fröhlich aussehen und Ben auf keinen Fall mit meinen finanziellen Schwierigkeiten belatschern, dazu kennen wir uns noch zu wenig.
Bei Jacobi melde ich mich später, auf ein, zwei Stunden kommt es nun auch nicht mehr an.
Doch meine Geduld wird auf eine harte Probe gestellt. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass Ben sich offensichtlich schon wieder etwas verspätet. Von Minute zu Minute wird mein Magenkribbeln stärker.
Um mich abzulenken, öffne ich auch noch die anderen drei Briefe, die unbeachtet auf dem Tresen liegen. Das hätte ich aber besser lassen sollen. Die Kuverts enthalten weitere Kündigungen. Langsam kann ich anfangen, zu zählen, wie viele Mitglieder mir überhaupt noch bleiben.
Meine Laune sinkt in ein tiefes schwarzes Loch, aus dem mich nur das Auftauchen meines strahlenden Helden holen könnte. Doch der lässt auf sich warten.
Als er eine Stunde später immer noch nicht aufgetaucht ist, suche ich halbherzig nach Entschuldigungen für seineVerspätung. Ich rede mir ein, dass es bestimmt eine plausible Erklärung für alles geben wird. Vielleicht ist er ja auch selbständig und kann nicht einfach alles stehen- und liegenlassen, nur, weil er verabredet ist.
Mist, wir hätten doch Handynummern tauschen sollen.
Möglicherweise stimmt es ja auch, dass emanzipierte Frauen im wahren Leben von Männern gemieden werden. Dass sie lieber ein doofes Weibchen wollen, das sich bereitwillig an den Herd stellt und widerspruchslos die Blagen aufzieht,
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