Couchgeflüster
erschöpft. «Er erinnert sich nicht mal mehr an unseren ersten Kuss.»
«Das ist ja entsetzlich!», seufzt Carina mitfühlend und schüttelt den Kopf. Dann hakt sie mich unter und zieht mich Richtung Küche. «Wir brauchen was zu trinken!»
Als ich die traurige Geschichte in voller Länge und Tragik ausgebreitet habe, sind die Kerzen an Mamas antikem, fünfarmigem Leuchter zur Hälfte heruntergebrannt, und die zweite Flasche Rotwein ist geleert.
Während des Erzählens wurde mir die Dramatik erst so richtig bewusst. Wenn ich es nicht schaffe, Ben aus seinem schwarzen Erinnerungsloch zu holen, bevor Mama zurückkommt, fliegt meine Tarnung auf – und alles ist aus. Das Risiko, vorher alles aufzuklären, wage ich nicht einzugehen. Warum sollte mir Ben so eine absurde Story glauben? Dazu ist es längst zu spät. Das hätte ich gleich bei seinem Erscheinen in der Praxis tun müssen. Wenn ich jetzt damit rausrücke, wird er mich für übergeschnappt halten und nie wieder ein Wort mit mir sprechen. Außerdem würde das immer noch nichts an seinen Gefühlen ändern. Dann bleibe ich doch lieber Ella für ihn, seine treue Therapeutin.
Müde blicke ich in die flackernden Kerzen und zwirble eine Haarsträhne um meinen Finger.
Phillip, der seinen blassen Körper mittlerweile in einen dunkelblauen Morgenmantel mit goldenem Monogramm gehüllt hat, erhebt sich, um noch eine Flasche Wein aus der Speisekammer zu holen.
«Ach, Nelly, das ist wirklich schwierig», bekundet Carina ihr Mitgefühl. «Aber du darfst die Hoffnung nicht aufgeben. Prinz Charles und seine Camilla sind schließlich auch noch zusammengekommen!»
Genervt rollt Phillip mit den Augen. «Dass ihr Weiber immer gleich losheulen müsst, anstatt mal zu überlegen, wo der Fehler im Plan liegt.»
«Fehler?», fragen Carina und ich synchron.
Bevor sich mein kleiner Bruder zu einer klärenden Antwortherablässt, füllt er erst noch die Gläser auf. «Ist doch ganz einfach, Nelly: Du warst heute Abend
Ella
für ihn und wohnst ja auch nicht mehr in Moabit.» Er sieht mich oberlehrerstreng an. «Ben
konnte
sich gar nicht erinnern.»
«Aber in
Täglich grüßt das Murmeltier
lief doch auch nicht jeder Tag haargenau wie der vorherige ab», gebe ich zu bedenken.
Mein Bruder mustert mich verächtlich. «Das beweist wieder mal, wie doof du bist, Nelly Nitsche. Der Protagonist des Films litt doch nicht unter Amnesie. Im Gegenteil, der hat ganz schnell gecheckt, dass er in einer Zeitschleife steckt und nur er alleine etwas ändern kann. Dein Ben dagegen hat doch keinen blassen Schimmer, was los ist, capito?»
«Ach, was verstehen Männer schon von Gefühlen», rügt Carina ihren Kapitän und prostet mir zu. «Auf die große Liebe!»
Erleichtert atme ich auf und erhebe mein Glas. «Danke, Carina, das ist lieb von dir. Ich hätte da vielleicht auch noch eine Bitte.» Irgendwie habe ich Vertrauen zu ihr gefasst. Deshalb traue ich mich auch, ihr meine ungewöhnliche Idee vorzutragen. «Also, gegen Amnesie und Flugangst gibt es ja leider keine Pillen. Deshalb habe ich überlegt, ob … na ja, ob ein Simulationsflug mit ein paar netten Wetterkapriolen vielleicht etwas bewirken würde. Ich meine, wenn Ben mal so richtig durchgeschüttelt würde, könnte das doch die Blockade in seinem Gehirn lösen, oder?»
«Kein Problem», entgegnet Carina, ohne Phillip zu beachten, der sich verzweifelt an den Kopf fasst. «Der Simulator steht jedem zur Verfügung. Dein Ben könnte sogar selbst das Steuerhorn in die Hand nehmen. Eventuell würde das sein Empfinden noch steigern. Anschließend bekommt maneine Erlebnisflugurkunde, die könnt ihr euch dann zur Erinnerung übers Bett hängen. Kostet nur knapp dreihundert Euro.»
«Dreihundert Euro?», wiederhole ich geschockt. «Das ist ja teurer als mancher Inlandsflug. Kannst du da nichts drehen?»
Carina schüttelt den Kopf. «Tut mir leid, Nelly. Aber wenn du ihm diese Idee richtig verkaufst, ist er sicher bereit, zu investieren.» Mit diesen Worten erhebt sie sich und stöckelt ins Bad.
«Na, endlich ist das Thema durch.» Triumphierend hebt Phillip sein Glas und nimmt einen tiefen Schluck. Dann beugt er sich verschwörerisch zu mir und flüstert: «Und was machen wir mit Mama?»
«Wie kommst du denn jetzt darauf?», frage ich verdattert. Er will wohl nicht, dass Carina etwas mitbekommt.
«Weil sie mich heute Abend angerufen hat, um zu erklären, dass sie am Montag entlassen wird.»
«Ist mir bekannt», sage ich gereizt.
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