Cowboy - Riskanter Einsatz
geben.“
„Bitte sag mir doch …“
Melody unterbrach sich, als sie Andy am Fuß der Verandatreppe stehen sah. Er schaute trotzig zu ihnen hoch. „Vince sagt, Sie wollen mich sehen.“
„Genau, das wollen wir.“ Jones hielt Melody die Hintertür auf.
„Er sagt, ich soll Ihnen das geben“, fuhr Andy mit tonloser Stimme fort und hielt ihm eine halb volle Packung Zigaretten hin. „Er lässt Ihnen ausrichten, die lägen seit drei Monaten im Haus und stammten noch vom letzten Besuch seines Bruders. Sie seien wohl schon etwas muffig, aber das wäre Ihnen vermutlich egal.“
Er warf Jones das Päckchen zu, und dieser fing es mühelos mit der Linken auf. „Danke. Wir haben gehört, du hättest heute Abend gern ein bisschen Party gemacht?“
Melody nahm ihre Jacke vom Haken neben der Tür und zog sie an, während sie in die kühle Abendluft hinaustrat. „Hallo, Andy.“ Der Junge wich ihrem Blick aus, wagte es nicht, sie anzuschauen.
„Na und? Was ist denn schon dabei?“, antwortete er mürrisch auf Jones‘ Frage.
„Ja, ich dachte mir schon, dass du das sagen würdest.“ Jones stellte das Bier auf den Verandatisch. Er fegte ein paar dürre Blätter von einem der Stühle, damit Melody sich setzen konnte. „Du wolltest einfach nur ein bisschen Spaß haben. Und es war ja nur Bier. Warum also die ganze Aufregung, richtig?“
Überraschung flackerte kurz in Andys Augen auf, bevor er sich wieder fing und in seine mürrische Haltung zurückfiel. „Ja“, sagte er, „ganz genau. Es ist nur Bier.“
Melody zögerte, sich zu setzen. „Jones“, flüsterte sie drängend, „bist du etwa seiner Meinung ?“
„Ich sage nur, dass die Leute sich über die dümmsten Kleinigkeiten aufregen. Setz dich, Andy“, ordnete Jones an. „Du trinkst also gern Bier?“
Andy lümmelte sich auf einen Stuhl, gab sich betont lässig. Dass er in Wirklichkeit hochgradig nervös war, ließ sich nur daran erkennen, dass er dauernd an dem Lederband seiner geliebten Armbanduhr herumfummelte. „Schmeckt ganz gut. Ich hab’s schon ein paar Mal getrunken. Wie schon gesagt, das ist doch nichts Besonderes.“
Jones öffnete den Sechserpack und nahm eine Flasche heraus. „Ein bisschen Bier trinken, ein paar Kippen rauchen – ein ganz normaler Samstagabend, absolut nichts dabei. Du wolltest zum Steinbruch, nicht wahr?“
Andy setzte ein gekonntes Pokergesicht auf. „Wohin?“
„Der See im Wald. Der geflutete Steinbruch“, erklärte Jones übertrieben deutlich.
Andy zuckte die Achseln. „Nie gehört.“
„Versuch gar nicht erst, mich aufs Kreuz zu legen. Ich weiß, dass du mehrmals dort warst, wenn ich meine Runden gedreht habe. Glaubst du im Ernst, ich hätte dich nicht bemerkt? Wenn du dich anschleichst, klingt das, als würde eine Herde Elefanten vorbeikommen.“
„Ich war ganz leise!“, empörte sich Andy beleidigt.
„Du hast Lärm für zehn gemacht.“
„Hab ich nichtl“
„Na schön, dann warst du eben relativ leise“, lenkte Jones ein, „aber nicht leise genug. Kein SEAL auf der ganzen Welt hätte dich überhören können.“
Melody konnte nicht länger den Mund halten. „Du schwimmst im Steinbruch ?“
„Vorher läuft er fünf Meilen“, erläuterte Andy. „Das weiß ich, weil ich die Strecke auf dem Fahrrad abgefahren bin. Dann schwimmt er – manchmal eine halbe Stunde ohne Pause, manchmal sogar in seinen Kleidern.“
Jetzt war es an Jones, die Achseln zu zucken. „Es kommt ab und an schon mal vor, dass man während eines Einsatzes im Wasser landet und schwimmen muss, und zwar mit kompletter Kleidung und Ausrüstung. Deshalb ist es sinnvoll, in Übung zu bleiben.“
„Das Wasser dort ist ja schon im August ziemlich kalt“, widersprach Melody. „Inzwischen haben wir Oktober, und neulich Nacht hat es sogar gefroren. Das Wasser muss eisig sein.“
Jones grinste. „Stimmt. Deshalb bin ich in letzter Zeit einfach ein bisschen schneller geschwommen.“
„Nach dem Schwimmen läuft er die fünf Meilen hierher zurück“, ergänzte Andy, „und dann stemmt er Gewichte.“
Melody wusste von den Hanteln; seit ein paar Wochen zog sie sich schließlich jeden Morgen zu den klirrenden Gerauschen von Jones‘ Krafttraining an. Sie hatte allerdings keine Ahnung gehabt, dass er vorher auch noch lief und schwamm. Demnach musste er jeden Morgen schon in der Dämmerung unterwegs gewesen sein.
„Ich habe zwar Urlaub“, erklärte er, „aber es ist wichtig für mich, in Form zu bleiben.“
Es fehlte nicht
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