CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)
sollen.«
»Philip, ja? Und weiter?«
Alex zögerte. »Philip Garamond.«
»Garamond. Alex hat nie von dir erzählt. Hast du den Namen schon mal gehört, Fran?«
»Philip, entschuldige bitte, dass …«
»Sam, hast
du
diesen Jungen schon mal gesehen?«
Alex’ Bruder, der zweifellos von dem Aufruhr im Flur von seinem Videospiel weggelockt worden war, stand in der Tür zum Wohnzimmer. Vorhin hatte sich Alex danach gesehnt, Sams Gesicht zu sehen, und jetzt war es ihm zugewandt, mit einem Ausdruck, der zwischen Argwohn und offener Feindlichkeit schwankte. Sam musterte Alex einen Augenblick, dann schüttelte er den Kopf.
»Gut. Ich rufe David an.« Dad pikte Alex mit dem Finger unsanft vor die Brust, als wollte er ihm eine Reißzwecke in die Rippen rammen. »Und
du
wartest hier.«
»Sei nicht albern, Ed. Du siehst doch, dass er völlig verstört ist.«
Sein Vater verschwand im Wohnzimmer und hätte beinahe Sam umgerannt. Der Kleine blieb noch einen Augenblick in der Tür stehen und betrachtete Alex, dann folgte er seinem Vater.
Alex’ Mund war so trocken, dass er nicht schlucken konnte.
»Wir hatten schon mit einigen Spinnern zu tun«, sagte Mum entschuldigend. Sie hielt sich ganz krumm vor Erschöpfung. »Blöde Anrufe, Briefe, Mails. Man kann sich das nicht vorstellen. Vor unserem Haus haben Reporter kampiert, einer hat sogar die Mülltonnen durchwühlt; oder sie rufen an und geben sich als jemand anderes aus. Irgendwann mussten wir uns eine neue Telefonnummer geben lassen.«
»Ich geh dann mal lieber«, sagte er.
»Alex’ Vater ist ziemlich runter mit den Nerven. Das geht uns allen so.«
»Terence, hier ist Ed Gray …«, tönte es aus dem Wohnzimmer. »Sag mal, ist David zu Hause? … Ja … Nein, er könnte mir nur bei etwas behilflich sein … Danke.«
Mum sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen, als wäre alles zu viel für sie, als würde sie sich am liebsten auf die Treppe setzen und die Hände vors Gesicht schlagen. Was hatte sich Alex nur dabei gedacht, einfach herzukommen? Es war verrückt. Gedankenlos, egoistisch, bescheuert.
»David? Hallo, mein Junge …«
»Tut mir leid«, sagte Alex. »Ich wollte nicht, dass es so abläuft.«
Ehe seine Mutter reagieren konnte, griff er sich seine Schultasche, schob den Riegel zurück und riss die Tür auf.
Noch nie war er die Straßen seiner Kindheit so schnell entlanggerannt. Seine Arme bewegten sich wie Kolben auf und ab, die Füße trommelten auf den Gehweg, der Atem versengte ihm die Kehle, Adrenalin durchflutete ihn von Kopf bis Fuß. Alex bog in das Labyrinth der Wohnstraßen ein, erst nach links, dann nach rechts, dann wieder links. Ein, zwei Leute führten ihre Hunde aus, eine alte Oma kam mit einer Tüte Milch aus dem
SPA R-Markt
. Falls sie ihm Beachtung schenkten, so merkte er nichts davon. Er rannte immer weiter, legte so viel Entfernung, so viele Querstraßen und Abzweigungen wie möglich zwischen seinen Vater und sich. Er hatte Dad noch hinter sich herbrüllen hören, als er die Monks Road schon halb zurückgelegt hatte. Aber er hatte einen guten Vorsprung und Dad hätte sich erst die Stiefel wieder anziehen müssen. Dann fiel Alex ein, dass Dad womöglich mit dem Auto durch die Siedlung fuhr und nach ihm suchte. Er lief wieder schneller, bis zu dem Weg, der in das Gewerbegebiet führte. Wie oft war er diesen Weg schon mit dem Fahrrad rauf und runter gefahren! Gleich hatte er das Brachland hinter den Industrieanlagen und Lagerhallen erreicht.
Die ganze Zeit über saß ihm die panische Angst davor,geschnappt zu werden, im Nacken. Aber noch mehr beherrschte ihn etwas anderes. Ein Gedanke, der wie ein elektrischer Impuls in seinem Kopf an- und wieder abschwoll, dass Alex sich wahnsinnig beherrschen musste, um nicht laut loszulachen, zu johlen und die Fäuste in die Luft zu stoßen.
Ich lebe! Ich lebe! Ich lebe!
Drei Minuten nach zehn, dem beleuchteten Zifferblatt auf Flips Uhr zufolge. Alex hatte sich im Gebüsch am äußersten Rand des Brachlandes versteckt. Er und David hatten früher öfter Streifzüge durch die Ruinen der Häuser, die dort einmal gestanden hatten, unternommen oder den älteren Jungs bei ihren BM X-Rennen zugeschaut. Zum Teil sah es dort aus, wie sich Alex die Mondoberfläche vorstellte. Einmal waren sie von einer Bande Skinheads gejagt worden.
Nigger
hatten sie David beschimpft, und Alex als
Niggerfreund.
Zu David konnte er nicht gehen. Das war sein ursprünglicher Plan
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