Crash: Thriller (German Edition)
war, schaffte er es, ein paar Stunden zu schlafen. Dann ging die Sonne auf, und um acht Uhr war es in dem Beiwagen zu heiß. Er zog das Hemd aus und baute sich einen Sonnenschutz, indem er die Hemdsärmel an die Lenkstange der Ural band. Aber es war sogar im Schatten heiß, und Michaels Lippen waren trocken und rissig. Er erinnerte sich, dass ein Mensch drei bis sieben Tage ohne Wasser überleben konnte. Aber in der einbändigen wissenschaftlichen Enzyklopädie hatte auch gestanden, dass diese Zeit erheblich abnahm, wenn die Lufttemperatur hoch war. Weil mehr Feuchtigkeit aus dem Körper verdunstete. Und Verdunstung ließ sich nicht verhindern.
Michael versuchte, sich wieder auf die Zeitschrift zu konzentrieren, aber er sah die Bilder nur noch verschwommen. Als er den Kopf hob und auf die Sanddünen schaute, schienen sie sich über sein Blickfeld zu bewegen, schienen zu fließen wie die Wellen im Meer. Er glaubte, auch das Schwappen der Wellen zu hören, aber er wusste, dass dies nur das Geräusch seines Pulses war, den er ganz deutlich wahrnehmen konnte, wenn er die Hände über die Ohren legte. David Swift hatte ihm einmal erzählt, dass es sechs Liter Blut in seinem Körper gebe, und als Michael das zum ersten Mal hörte, hatte er sich vorgestellt, wie er sein Blut in drei Milchtüten mit einem Fassungsvermögen von zwei Litern aufbewahrte, die den meisten Platz auf ihrem obersten Kühlschrankregal einnehmen würden. Aber jetzt stellte er sich vor, wie sein Blut in den Sand sickerte und die losen Körnchen zu dicken rötlichen Klumpen verdichten würde, wie es das Blut von Tamara gemacht hatte, als er sie zum letzten Mal sah.
Er schloss die Augen, damit er die Dünen nicht mehr ansehen musste. Tamara war tot, das wusste er. Und er hatte es nicht geschafft, das zu tun, was sie ihm aufgetragen hatte. Er hatte kein Dorf und kein Telefon gefunden, und er hatte keine Chance gehabt, mit David Swift zu sprechen. Seine Augen brannten, und sein Magen tat ihm weh, während er an all die Dinge dachte, die er falsch gemacht hatte. Du bist ein Versager, dachte er. Du hast in jeder Hinsicht versagt.
Und dann hörte er David Swifts Stimme. Sie klang so, als stünde er direkt hinter ihm.
Du bist kein Versager, Michael. Du bist ein wundervoller Junge.
Michael drehte sich um. Es war nichts hinter ihm, von dem Ural-Motorrad abgesehen. Aber er redete dennoch mit David. »Nein, bin ich nicht. Ich habe mein Versprechen gebrochen. Ich habe Cyrus den Code genannt.«
Das ist nicht dein Fehler. Du hast so lange ausgehalten, wie du konntest. Ich bin stolz auf dich, Michael. Sehr stolz.
Seine Augen brannten, aber er konnte nicht weinen. Er war zu sehr dehydriert. »Aber das ist doch egal! Ich habe mein Versprechen gebrochen, und jetzt wird Cyrus das Programm verändern. Er wird die Welt töten!«
Nein, das kann er nicht. Er kann die Welt nicht töten. Schau sie dir nur an, Michael. Schau, wie schön sie ist.
Michael schaute hoch. Er sah nichts außer Sanddünen. Und vor seinem inneren Auge sah er Dinge, die schlimmer waren. Den Mann, der in den brennenden Krater fiel. Die Soldaten, die von der Granate zerrissen worden waren, die er geworfen hatte. »Sie ist schon tot«, sagte er zu David. »Es gibt hier nichts Lebendiges mehr.«
Was ist mit diesen Vögeln?
Zunächst verstand Michael nicht. Der Himmel war ein leeres, glühend heißes blaues Blatt. Aber einen Augenblick später entdeckte er sie: zwei große schwarze Vögel, die über die Dünen flogen. Nur dass sie nicht mit den Flügeln schlugen. Und sie schienen größer zu werden. Dann hörte Michael ein entferntes Stampfen, erschütternd und tief, als ob ein Riese mit seiner Keule auf die große Basstrommel der Wüste schlüge.
»Das sind keine Vögel«, flüsterte er. »Das sind Hubschrauber.«
EINUNDDREISSIG
S ie begruben sie nicht mal. Nachdem Nicodemus Lucille die Kehle durchgeschnitten hatte, ließen seine Soldaten sie auf die Leichen der kippot srugot fallen. David konnte einen letzten Blick auf Agent Parker werfen – ihre Augen weit geöffnet, ihr Kopf nach hinten geneigt, ihr Hemd mit Blut verschmiert –, bevor die Soldaten ihn zu Boden warfen und sein Gesicht in den Dreck stießen. Einer von ihnen fesselte ihm die Hände hinter dem Rücken, ein anderer band ihm die Beine an den Knöcheln zusammen, und ein dritter knebelte ihn mit einem Stofflappen, der nach Motoröl schmeckte. Dann zerrten sie ihn zu einem Konvoi von grauen Land Cruisers und warfen ihn hinten in
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