Crashkurs Wein (Allgemeine Einführungen) (German Edition)
DAS LIMBISCHE SYSTEM
Aber warum ist der Geruchssinn so wichtig für den Genuss? Die Gründe dafür sind in der Frühzeit der Entstehung des menschlichen Gehirns zu finden. Jeder Mensch weiß, wie sehr Gerüche Erinnerungen wecken und Emotionen beeinflussen können. Sie riechen gebrannte Mandeln – und schlagartig ist eine längst verschollen geglaubte Erinnerung an einen Jahrmarkt aus Ihrer Kindheit wieder da, mitsamt allen damit verbundenen Gefühlen. Oder jemand benutzt ein bestimmtes Rasierwasser oder Parfum, dass Sie an einen ehemaligen Lebensgefährten erinnert: Schon ersteht der– oder diejenige, ob Sie wollen oder nicht, vor Ihrem inneren Auge. Ursächlich dafür ist das limbische System im Gehirn, das zu dessen entwicklungsgeschichtlich ältesten Bestandteilen gehört und unter anderem die Geruchswahrnehmung und einen Großteil der Emotionen steuert. Deswegen macht es uns glücklich, wenn etwas richtig gut riecht. Und deshalb sollten Sie einem wohlriechenden und wohlschmeckenden Wein mit dem sorgfältigen Vinieren auf die Sprünge helfen – die Belohnung für Sie und Ihre Gäste erfolgt unmittelbar und sofort!
Was bringt es Ihnen aber nun, unterschiedliche Aromen zu erriechen und benennen zu können? Eine einfache Frage, auf die es eine hochphilosophische Antwort gibt: Wofür wir keine Worte haben, das existiert auch nicht. Erst mit dem Erkennen und Differenzieren von Aromen kommen wir dem Geschmack von großen, komplexen Weinen auf die Spur und lernen, diese wirklich zu genießen. Passiv ist das nötige Wissen übrigens bei fast allen Menschen vorhanden. Sie kennen vielleicht das Phänomen, dass jemand in der Runde bemerkt, der Wein riecht z. B. nach Ananas. Und obwohl Sie es selbst vorher nicht so empfanden, haben sie plötzlich eine saftige Ananasnote in der Nase. Massive Fehltöne wie z. B. der stechende Korkschmecker oder der sogenannten Böckser, also der Geruch nach faulen Eiern, können den Genuss verderben. Ansonsten gilt: Es gibt keine guten oder schlechten Aromen, nur unterschiedliche Geschmäcker! Ob Sie einen Rotwein mit kräftigen Noten von Tabak und Autoreifen als angenehm empfinden, hängt nicht zuletzt davon ab, ob Sie Raucher sind oder Motorsportfan.
Hintenrum durch die Nase
Wenn die Zunge tatsächlich nur die bekannten sechs Grundgeschmacksrichtungen wahrnehmen kann – warum schmecken wir trotzdem die volle Schönheit eines Pfirsichs am Gaumen? Das entscheidende Stichwort heißt retronasal! Die Aromen gelangen nicht nur durch die Nase, sondern auch hintenrum, also retro, durch den Rachenraum zu den Geschmacksrezeptoren in die Nase. Dass wir den Pfirsich auf der Zunge schmecken, ist also eine Sinnestäuschung.
DAS AROMENRAD
PRAKTIKABLES HILFSMODELL – AROMENRAD
Als praktikable Übersicht für die immense Vielfalt hat sich das Aromarad durchgesetzt. Es ermöglicht eine Ordnung der Aromen von allgemeinen Kategorien im Innenrad bis zum Einzelaroma außen. Keines dieser Räder ist wirklich vollständig, dennoch macht es viel Spaß, mit Freunden einen Wein anhand eines Aromarades abzuschnuppern.
Dabei ist hilfreich, sich mit den Duftkategorien ein wenig vertraut zu machen. Denn kaum ein Sinn ist beim Menschen so ausgeprägt und gleichzeitig so wenig sprachlich verfügbar wie der Geruch. Mit den Kategorien fruchtig, blumig, würzig oder vegetabil (grasig und gemüsig) kann noch jeder etwas anfangen. Wenn in dem abgebildeten Aromarad jedoch von karamellisierten, rauchigen oder mikrobiologischen Aromen gesprochen wird, ist eine Einordnung schon nicht mehr so einfach. Darum einige Worte zur Erklärung.
Karamellisierte Aromen oder auch Röstaromen wie Schokolade, Kaffee, Toffee oder Honig sind bei Weinen nicht zwangsläufig ein Zeichen von Süße. Oft steckt dahinter der Ausbau im Barrique, bei dem das Eichenfass diese Noten an den Wein abgibt. Mikrobiologische Aromen entstehen meist während der Gärung. Junge Weißweine schmecken z.B. häufig noch nach Hefe oder Joghurt. Bei Schaumweinen ist dieser Hefeton – auch »Brioche« genannt nach dem französischen Hefegebäck – sogar ein Qualitätsmerkmal. Bei Rotweinen können mikrobiologische Aromen die Form ›animalischer‹ Noten annehmen – also Stallgeruch oder Schweiß: Das kann zu kräftigen Braten oder Wild ganz gut passen.
Zu den rauchigen oder auch balsamischen Noten zählen Tabak, Leder, Petrol, Räucherspeck und die bereits erwähnten Autoreifen. Bei Rotweinen sind sie Ausdruck kräftiger Gerbstoffe, bei Weißweinen Zeichen
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