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Crazy Moon

Crazy Moon

Titel: Crazy Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Dessen
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zappelte, hielt sie mich mit eisernem Griff an der Schulter fest. Sie umränderte meine Augen mit schwarzem Kajal, den sie leicht verrieb, pinselte Rouge auf meine Wangen und trug Mascara auf. Ich hatte keine Ahnung gehabt, wie lang meine Wimpern waren. Abschließend band sie meine Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen, aus dem sie einige kesse Strähnen zupfte, wie bei ihrer eigenen Frisur. Während sie machte und tat, ließ ich die perfekten Gesichter vor mir nicht aus den Augen, betrachtete eingehend eines nach dem anderen, bis ich schließlich bei mir selbst im Spiegel anlangte.
    Ich sah ein Mädchen. Weder die Dicke noch die Loserin noch die Schlampe vom Golfplatz.
    Sondern einfach ein hübsches Mädchen. Ein Mädchen, das ich noch nie zuvor gewesen war.
    »Gerade sitzen«, wiederholte Isabel und piekste mich |188| unbarmherzig mit der Haarbürste ins Kreuz. »Schultern nach hinten.«
    Ich gehorchte.
    »Lächeln.«
    Ich lächelte. Isabel, deren Gesicht über meinem im Spiegel schwebte, zog die Stirn kraus.
    »Tu mir einen Gefallen.« Sie beugte sich vor, so dass ihr Gesicht direkt neben meinem in den Spiegel schaute. »Nimm das Teil da raus.«
    Sie meinte den Ring durch meine Oberlippe. Automatisch berührte ich ihn innen mit meiner Zunge. Mein Orientierungspunkt, mein einziger Halt. Ich brauchte ihn. »Ich weiß nicht . . .«, meinte ich zweifelnd.
    »Nur heute Abend. Mir zuliebe.«
    Ich betrachtete mich noch einmal in dem Spiegel mit seinem Gesichterrahmen und warf schließlich einen Blick auf Isabels dicke Cousine mit dem plumpen, rundlichen Gesicht. Auch sie starrte mich durch ihre dicken Brillengläser hindurch an.
    »Okay, aber nur heute Abend.«
    »Nur heute Abend.« Isabel nickte.
    Ich hob die Hand und entfernte das Letzte, was von meinem alten Ich noch übrig geblieben war. »Nur heute Abend.«
     
    Chase Mercer war neu im Viertel gewesen, genau wie ich. Sein Vater hatte irgendwas mit Software zu tun und fuhr zwei Porsches, einen blauen und einen roten. Auch er gehörte zunächst nicht richtig dazu, weil seine Schwester im Rollstuhl saß; sie hatte irgendeine Krankheit an den Beinen und wurde jeden Tag von einer Pflegerin unsere Straße hinauf und hinunter geschoben. |189| Wenn sie mich sah, winkte sie mir zu. Sie winkte jedem zu.
    Ich lernte Chase im Country Club kennen, bei einer Gartenparty für die gesamte Nachbarschaft von Conroy Plantations; so hieß unser Viertel. Wir waren beide mit unseren Eltern da. Die Erwachsenen tummelten sich an der Bar. Meine Mutter lief von einem Gast zum nächsten und machte Smalltalk. Die anderen Jugendlichen und Kinder waren verschwunden, um das zu tun, was die Jugendlichen und Kinder von Conroy Plantations bei einer Party im Country Club eben so taten. Deshalb beschlossen Chase und ich einen Spaziergang über den Golfplatz zu machen. Es war Spätsommer, der Himmel funkelte vor lauter Sternen. Wir unterhielten uns. Sonst nichts.
    Er stammte aus Columbus und sein dichtes blondes Haar stand ihm im Nacken leicht zu Berge. Er fuhr voll auf Sport und Super Nintendo ab, und als er sechs Jahre alt gewesen war, wäre er beinahe an einer Lungenentzündung gestorben. Seine Mutter war Immobilienmaklerin und nie zu Hause; seine Schwester hieß Andrea und war seit ihrer Geburt krank. Er vermisste seine alte Schule und seine Freunde dort und fand, dass die anderen Teenager, die er in Conroy Plantations kennen lernte, reiche Schnösel waren, die nichts als Klamotten im Kopf hatten.
    Ich erzählte Chase Mercer, wie meine Mutter über Nacht berühmt geworden war. Von meinem Vater, den ich nie gesehen hatte, nur auf einem Foto, auf dem er mit meiner Mutter vor dem Alamo-Denkmal in Texas stand. Und davon, dass die Mädchen aus Conroy Plantations auf mich runterguckten, weil ich so fett gewesen war, und |190| sich mir gegenüber nur dann halbwegs anständig benahmen, wenn ihre Mütter sie dazu zwangen.
    Ich erzählte Chase Mercer ziemlich viel von mir.
    Am Ende saßen wir beim achtzehnten Loch auf dem Rasen und blickten zu den Sternen empor. Chase kannte fast alle Sternbilder – in Columbus hatte er ein Teleskop gehabt – und erklärte sie mir. Ich folgte seinem ausgestreckten Zeigefinger mit den Augen. Gerade hatte er Kassiopeia entdeckt, da hörte ich Stimmen.
    »He, ihr da!« Ein Licht flackerte über mein Gesicht; der Strahl einer Taschenlampe wies erst auf mich, dann ruckartig auf Chase und dann wieder auf mich. »Was geht denn hier ab?«, fragte eine schrille Stimme. Wieherndes

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