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Crazy Moon

Crazy Moon

Titel: Crazy Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Dessen
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hatte. »Toll. Danke, Norman.«
    »Aber die heiße Schokolade hast du verpasst.« Nun klang seine Stimme sehr entschieden. »Dafür gibt es keine zweite Chance.«
    »Akzeptiert«, sagte ich. »Wann sollen wir anfangen?«
    »Hast du die Sonnenbrille noch, die ich dir geschenkt habe?«
    »Ja.«
    »Bring sie heute Abend mit zu mir, gegen acht, damit ich eine Zeichnung von dir machen kann. Wir arbeiten dann nachmittags hier an dem Porträt und abends bei mir.« Mit einem dumpfen Knall schloss er die Heckklappe.
    »Hier? Du willst mich hier malen?«
    »Ja, hier. Unter dem da.« Er wies an meinem Kopf vorbei auf etwas in meinem Rücken. »Bis heute Abend.«
    |229| Ich drehte mich um und entdeckte ein Schild, das mir bisher nie aufgefallen war. LIEFERUNGEN stand darauf. Und LAST CHANCE.
    »Okay, bis später«, meinte ich.
    Als ich das erste Mal Normans Zimmer betreten hatte, war es mir als das reinste Chaos vorgekommen. An diesem Abend jedoch entdeckte ich, dass das Chaos Methode hatte. Ein kleines Universum, in dem in sich alles stimmte.
    Normans Universum, wo jeder Gegenstand seinen Platz hatte, angefangen bei der riesigen Sammlung von Cartoonfiguren und Actionhelden aus Plastik auf dem Bücherregal – sie standen der Größe nach nebeneinander aufgereiht, wie auf einem Klassenfoto – bis hin zu den Schaufensterpuppen, die er am Tag unseres Kennenlernens in seinem Wagen spazieren gefahren hatte. Sie lehnten hübsch ordentlich beisammen an der Wand, als befänden sie sich in einem Wartezimmer. Auf einer Werkzeugbank standen Gläschen, die früher einmal Babynahrung enthalten hatten, aber jetzt ein verrücktes Sammelsurium von Gegenständen beherbergten: Dichtungsringe, Schrauben, bunte Heftzwecken, rostige Nägel, Murmeln, Muscheln, winzige Plastikpuppenköpfe. Als könne er jeden x-beliebigen Gegenstand nehmen und daraus etwas machen. Etwas Schönes, etwas Nützliches, irgendwas.
    Die Wände waren weiß gestrichen und mit Gemälden bedeckt; einige kannte ich bereits – Morgan und Isabel   –, andere noch nicht. Von denen mit dem Sonnenbrillenmotiv gab es allerdings nur noch ein weiteres.
    Das Porträt eines Mannes Anfang zwanzig, der, die Arme über der Brust verschränkt, an einem schwarzen Oldtimer |230| lehnte. Er hatte einen Bürstenschnitt, trug ein weißes Hemd, Schlips, schwarze Hosen und natürlich eine Sonnenbrille. Der Himmel hinter seinem Kopf war weit und blau. Der Mann legte den Kopf in den Nacken und lachte, lachte so übermütig, als habe er soeben den witzigsten Witz seines Lebens gehört. Ich hätte gern gewusst, wer er war.
    Norman platzierte mich in einem alten blauen Ohrensessel, der leicht nach Rosen roch. Ein Duft wie nach uraltem Parfüm. Ein seltsamer Gedanke schoss mir in diesem Moment durch den Kopf: Auch für Dinge musste es tröstlich sein, eine eigene Vergangenheit zu haben.
    »Schau mal zu mir her, bitte«, sagte er.
    Wie hatte er überhaupt erkennen können, in welche Richtung ich blickte? Ich trug schließlich eine Sonnenbrille und er saß auf der anderen Seite des Zimmers, mir gegenüber, auf einem Milchflaschenkasten und balancierte einen Zeichenblock auf den Knien. Neben ihm stand eine alte Kaffeedose voller Stifte in verschiedenen Größen und Farben. Er schien nicht zu finden, was er suchte, denn er hörte nicht auf darin rumzuwühlen.
    Allmählich ging mir auf, dass er sich von nun an ausschließlich auf mich konzentrieren würde, und ich war froh mich hinter meinen schwarzen Brillengläsern verstecken zu können.
    Endlich war seine Wahl auf einen Stift gefallen. »Heb dein Kinn ein wenig. Nicht so hoch. Okay, das ist gut. Bleib genauso.«
    Mein Nacken tat mir jetzt schon weh. Aber ich rührte mich nicht, sondern blickte Norman an, als sähe ich ihn zum ersten Mal.
    Ich kann nicht sagen, wann genau es passierte. Vielleicht |231| als ich ihm zuschaute, wie er sich konzentriert vorbeugte, nur gelegentlich aufschaute, mich Blick um Blick in sich aufnahm, während seine dunklen braunen Augen hin und her wanderten, zu mir und zurück zu seinem Block. Oder als ich seine Hände betrachtete, die Hände, die Hamburger wendeten, Katzen fingen, gefüllte Eier und einmal auch meine Hand hielten. All das hatte ich seine Hände tun sehen und dennoch wirkten sie, während er zeichnete, auf einmal anders. Mit achtsamen, bedächtigen Bewegungen schufen sie – mich. Das Einzige, was ich außer meinem eigenen Atem hören konnte, war das Geräusch des Stiftes auf dem Papier. Ich kam mir seltsam

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