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Credo - Das letzte Geheimnis

Titel: Credo - Das letzte Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Preston
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existiert hätte.«
    Begay schüttelte den Kopf. »Das ist doch total verrückt.«
    Unbehagliches Schweigen senkte sich über das schäbige Wohnzimmer.
    »Haben die Navajos eine Schöpfungsgeschichte?«, fragte Kate.
    »Ja. Wir nennen sie Diné Bahané. Sie ist nirgends aufgeschrieben. Man muss sie auswendig lernen. Es dauert neun Nächte, sie vollständig zu singen. Das ist das Blessing-Way-Ritual, von dem ich Ihnen erzählt habe – ein Gesang, der die Schöpfungsgeschichte dieser Welt erzählt. Wenn man sie in Gegenwart eines kranken Menschen singt, wird er von der Geschichte geheilt.«
    »Sie haben sie auswendig gelernt?«
    »Natürlich, mein Onkel hat sie mir beigebracht. Hat fünf Jahre gedauert.«
    »Etwa so lange, wie ich für meinen Doktortitel gebraucht habe.«
    Begay schien sich über diesen Vergleich zu freuen.
    »Würden Sie mir ein paar Zeilen vorsingen?«
    Begay erwiderte: »Der Blessing-Way-Gesang sollte nie beiläufig angestimmt werden.«
    »Ich weiß nicht, ob unsere Unterhaltung hier wirklich beiläufig ist.«
    Er sah ihr lange in die Augen. »Ja, das ist wahr.«
    Begay schloss die Augen. Als er den Mund öffnete, klang seine Stimme schrill und zittrig, und er sang in einer fremdartigen Fünftonleiter. Die nichtwestlichen Harmonien und der Klang der Navajo-Worte – einige wenige kannte Ford, die meisten nicht – erfüllten Ford mit einer Sehnsucht nach etwas, das er nicht benennen konnte. Nach etwa fünf Minuten verstummte Begay. Seine Augen waren feucht. »So fängt es an«, sagte er leise. »Die schönste Po esie, die je ersonnen wurde, zumindest meiner Meinung nach.«
    »Könnten Sie das für uns übersetzen?«, bat Kate.
    »Ich hatte gehofft, dass Sie mich nicht darum bitten würden. Also gut, bitte sehr.« Begay holte tief Luft.
    »Daran denkt er, denkt er.
Vor langer Zeit, daran denkt er.
Wie die Dunkelheit entstehen wird, denkt er.
Wie die Erde entstehen wird, denkt er.
Wie der blaue Himmel entstehen wird, denkt er.
Wie der gelbe Morgen entstehen wird, denkt er.
Wie die Abenddämmerung entstehen wird, denkt er.
Wie Tau auf dunklem Moos entstehen wird, denkt er.
An Ordnung denkt er, an Schönheit denkt er.
Wie alles sich vermehren kann, ohne zu verlieren, denkt er.«
    Begay hielt inne. »In Ihrer Sprache hört es sich nicht gut an, aber so ähnlich könnte man es übersetzen.«
    »Wer ist ›er‹?«, fragte Kate.
    »Der Schöpfer.«
    Kate lächelte. »Sagen Sie mir, Mr. Begay: Wer hat den Schöpfer geschaffen?«
    Begay zuckte mit den Schultern. »Das sagt uns die Geschichte nicht.«
    »Was war vor Ihm?«
    »Wer weiß?«
    Kate sagte: »Offenbar haben unser beider Schöpfungsgeschichten ein Problem mit der Urheberschaft.«
    Vom Spülbecken her unterbrach tröpfelndes Wasser die Stille, dann noch ein Tropfen, und noch einer. Schließlich stand Begay auf und humpelte hinüber, um den Hahn zuzudrehen. »Das war eine interessante Unterhaltung«, sagte er, als er zurückkehrte. »Aber da draußen gibt es noch die echte Welt, und in der steht ein Pferd herum, das neue Hufeisen braucht.«
    Sie traten hinaus ins grelle Sonnenlicht. Auf dem Weg zum Pferch bemerkte Ford: »Mr. Begay, wir wollten Ihnen auch noch sagen, dass wir morgen einen Durchlauf mit Isabella vorhaben. Alle werden unter der Erde sein. Wenn Sie und Ihre Reiter kommen, werde nur ich da sein können, um Sie zu begrüßen.«
    »Wir hatten nicht vor, jemandem einen gesellschaftlichen Besuch abzustatten.«
    »Ich wollte nur nicht, dass Sie den Eindruck bekommen, wir würden Sie absichtlich ignorieren.«
    Begay tätschelte sein Pferd und strich ihm über die Flanke. »Hören Sie, Mr. Ford, wir haben unsere eigenen Pläne. Wir werden eine Schwitzhütte bauen, einige Zeremonien abhalten und mit der Erde sprechen. Wir werden vollkommen friedlich sein. Wenn die Polizei kommt, um uns festzunehmen, werden wir ruhig abziehen.«
    »Die Polizei wird nicht kommen«, sagte Ford.
    Begay wirkte enttäuscht. »Keine Polizei?«
    »Sollen wir sie denn für Sie rufen?«, fragte Ford trocken.
    Begay lächelte. »Ich nehme an, ich habe mir eingebildet,mich für die gute Sache verhaften zu lassen.« Er wandte ihnen den Rücken zu, hob mit einer Hand das Bein des Pferdes an und zückte mit der anderen ein scharfes Messer. »Ruhig, Junge«, murmelte er und begann, das Horn zuzurichten.
    Ford warf Kate einen Blick zu. Auf dem Heimweg würde er ihr endlich die Wahrheit sagen.

35

    Als Ford und Kate das Plateau der Mesa erreichten, stand die Sonne schon so tief,

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