Crescendo
hatte nicht einmal ihre Kollegen informiert, dass sie terrorisiert wurde – zumindest war keine Polizei in ihrer Wohnung gewesen und man hatte auch nicht ihren PC sichergestellt. Er würde die Daumenschrauben anziehen, aber zuvor musste er dem armen Wayne das Leben ein bisschen leichter machen. Eine weitere Fahrt nach Norden in die Gefängnisstadt war erforderlich, danach würde er sich ohne weitere Ablenkung ganz der Polizistin widmen können.
Kapitel sechs
Mittwochsabends sorgte im Bird in Hand normalerweise der Auftritt einer Stripperin für Schwung. Sasha gefiel Saunders am besten. Die schwabbeligen Oberschenkel verzieh er ihr, weil er einmal ihre Hängebrüste hatte begrapschen dürfen, als sie beide nicht mehr ganz nüchtern waren. Die Vorstellung, dass ihm das Vergnügen ein weiteres Mal gewährt werden könnte und vielleicht sogar noch mehr, trieb ihn immer wieder in den Pub, wenn er keine Nachtschicht im Gefängnis hatte.
Leider wurde Saunders bei seinem ersten Besuch im Juni enttäuscht, denn die kleine Bühne war unbeleuchtet und von einer Tänzerin fehlte jede Spur.
»Was ist los?«
»Ärger mit dem Ordnungsamt.« Der Wirt mochte Saunders nicht, wohl aber sein Geld, das er unweigerlich mit vollen Händen ausgab, bis er sturzbetrunken war und nicht mehr allein zur Tür fand.
»Sie waren lang nicht da.«
»Nachtschicht. Ich kann das Geld gebrauchen, und wir sind knapp mit Personal. Deshalb hatte ich gehofft, ich könnte mich heute ’n bisschen amüsieren.«
Er sah sich um, als würde er überlegen, wieder zu gehen. Ein Bier und ein Whisky zum Nachspülen tauchten im Nu auf der Theke auf.
»Die Runde geht aufs Haus. Keine Sorge, nächste Woche läuft hier wieder alles normal.«
Der Wirt sah sich nach der neuen Aushilfe um, die er zum Bierzapfen engagiert hatte und damit sie die Gäste bei Laune hielt, bis die Stripperin wieder auftreten durfte. Er suchte nicht mehr per Inserat nach Serviererinnen. Es war besser, die Mädchen wussten, was von ihnen erwartet wurde.
»Milly! Beweg deinen süßen Hintern hierher und begrüße Mr Saunders, er ist einer unserer nettesten Stammgäste.« Er wandte sich mit einem vielsagenden Blick an den Gefängniswärter. »Sie ist neu – vielleicht haben Sie Glück.«
Nach acht Bier und ebenso vielen Whiskys wusste Saunders, dass er heute kein Glück haben würde. Doch da er in Millys Augen ein verheißungsvolles Funkeln sah, würde er am nächsten Tag wiederkommen. Er hatte fünfzehn Zigaretten gequalmt, und in der fälschlichen Annahme, Milly anzumachen, hatte er sie mit lüsternen Anzüglichkeiten nur beleidigt. Auf dem Klo pinkelte er sich auf die Schuhe, und als er anschließend verlangte, dass Milly als Stripteasetänzerin einsprang, »half« man ihm mit Nachdruck zur Tür.
Auf dem Nachhauseweg kam Saunders an einem indischen Imbiss vorbei. Er übergab sich in den Rinnstein, fühlte sich sogleich besser und bestellte ein Rindfleisch-Curry, Reis, Zwiebel-Bhajees, pikante Pappadums und zwei Lamm-Samosas zum Mitnehmen.
Zu Hause in der Küche nahm er die Deckel von den Verpackungen und ging mit dem Essen ins Wohnzimmer. Er hockte sich vor den Fernseher und schlug sich den Magen voll, während er sich bei einem Erotikfilm im Pay-TV ausmalte, was er beim nächsten Mal mit der eingebildeten Bardame alles anstellen würde. Um Mitternacht hatten der Alkohol und das schwere Essen Wirkung gezeigt, und er schlief tief und fest, schnarchte mit dem Kopf nach hinten vor dem laufenden Fernseher.
Draußen kletterte eine große Gestalt über die Gartenmauer, sprang lautlos herunter und huschte zur Hintertür. Sie war unverschlossen, eine lachhafte Nachlässigkeit für einen Gefängniswärter, und führte in eine kleine Küche, die nach Curry, altem Müll und schmutzigem Geschirr stank.
Der Eindringling trug ein dunkles Polohemd und eine schwarze Jeans. Beide Kleidungsstücke waren teuer, ganz im Gegensatz zu den billigen Turnschuhen an seinen Füßen. Er hatte eine längliche Tasche dabei, wie ein altmodischer Arztkoffer, und er öffnete sie leise. Aus dem Wohnzimmer waren die Geräusche eines Softpornos und Schnarchen zu hören, und er konnte sich lebhaft vorstellen, was für ein Anblick ihn dort erwartete. Er lächelte. Es war kein nettes Lächeln. Es war das Lächeln, das er sich für die Nacht und verdunkelte Räume aufsparte. Die Menschen, die es sahen, lebten nur selten noch lange genug, um es zu beschreiben.
Er nahm einen schwarzen Plastikmüllbeutel aus der Tasche
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