Crescendo
geworden. Er blieb stehen und öffnete seinen Rucksack. Nach kurzem Suchen fand er die Dose mit der Notver-pflegung, die er jede Woche neu auffüllte. Er aß die Schokolade, trank dazu einen Energydrink und spürte, wie seine Entschlossenheit zurückkehrte. Es konnte nicht mehr weit sein. Irgendwo hörte er warnend einen Fuchs bellen, dann herrschte wieder Stille im Wald.
Man hatte ihm gesagt, dass Mill Farm in einer Senke auf der anderen Seite des Berges lag, an einem Bach, der früher einmal stark genug gewesen war, um das schwere, hölzerne Mühlrad anzutreiben. Er musste also über den Berg hinüber und dabei stets darauf achten, dass das Geräusch des Meeres rechts von ihm blieb. »Gehen Sie nicht zu nahe an die Klippe«, hatte der Mann gesagt, »die ist tückisch, besonders nachts. Die Tante von der jungen Frau hat sich da runtergestürzt.«
Er zog eine schwere schwarze Filzrolle aus dem Rucksack und hielt das vertraute Gewicht in den Händen. Es klimperte leise, als Metall gegen Metall stieß. Er breitete den Filz auf den Knien aus, nahm nacheinander jedes Messer einzeln in die Hand und streichelte es. Seit Wales verwahrte er sein Werkzeug immer sicher im Rucksack. Der Verlust des Taschenmessers hatte ihn gewurmt.
Es amüsierte ihn, dass ein Taschenmesser für so harmlos gehalten wurde. War es schön scharf und spitz, konnte es 582
mühelos zwischen Rippen gleiten und tief eindringen. Zum Schneiden, Schlitzen und Zerteilen eignete es sich so gut wie jede andere scharfe Klinge. Für sein besonderes Vorhaben heute Nacht hatte er seine Kollektion natürlich erweitert. Er hatte ein Stanley-Messer dabei, die schärfste Klinge, die er besaß und die sich gut zum Ritzen eignete. Ein Fahrtenmesser mit gezacktem Rand und ein Skalpell mit einer ungemein feinen, austauschbaren Rasierklinge, das er in einem Küns-tlergeschäft gekauft hatte.
Es beruhigte ihn, die Finger über den kalten Stahl gleiten zu lassen. Das Gefühl von Orientierungslosigkeit verging, und er konnte wieder klar denken. Er rief sich in Erinnerung, dass er in nicht mal einer Stunde etwas in die Tat umsetzen wür-de, was ihn seit Monaten beschäftigte. Die Vorstellung war belebend. Er packte die Messer wieder ein und stand energisch auf. Der Schmerz in seinem Gesicht war vergessen. Sie musste sterben, damit die Ordnung in seiner Welt wiederher-gestellt wurde. Er war unbesiegbar und unangefochten gewesen, bis sie seinen Schüler geschnappt hatte. Sie musste elimi-niert werden, damit er wieder seinen ihm angestammten Platz einnehmen konnte.
Während er den Berg hinaufstieg, wanderten seine Gedanken mehr und mehr zu dem eigentlichen Tötungsakt.
Zuerst war er fast überwältigt von der Vielfalt der Möglichkeiten, doch dann begann er, wie er das immer tat, seine Methode auf die Persönlichkeit abzustimmen, mit der er es vermutlich zu tun hatte. Im Idealfall fand er die Schwächen der jeweiligen Frau heraus und spielte dann mit ihnen. Oft war es ihre Eitelkeit, und zunächst drohende, später reale Entstellun-gen konnten fast mehr Entsetzen auslösen als simple Folter.
Hin und wieder jedoch waren die Ängste anders gelagert, wie bei dem Mädchen vom Campingplatz.
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Bei der Polizistenschlampe war das ein Problem. Er hatte sie vor Gericht beobachtet und automatisch nach einer Schwäche gesucht. Sie war nicht eitel, daher wäre es wenig wirksam, ihr das Gesicht zu zerschneiden, und sie war stark, physisch und psychisch, schwer einzuschüchtern. Auf ihre gespielte Ohnmacht war er nicht hereingefallen. Die einzige mögliche Schwäche, die er bei ihr feststellen konnte, war ihre Unabhängigkeit. Seine Intuition, die immer dann, wenn er sich auf ein Opfer konzentrierte, so feinsinnig war wie sonst nie, sagte ihm, dass ihr nichts wichtiger war, als auf eigenen Füßen zu stehen.
Allmählich kamen ihm die ersten Ideen, und sie wurden gespeist von dem Wissen, dass er reichlich Zeit haben würde.
Das Schicksal hatte sie in ein einsam gelegenes Haus geführt, weit weg von jeder Hoffnung auf Rettung, und er würde in der Lage sein, all seinen Vorlieben und Gelüsten zu frönen.
Zwischendurch würde er auch mal eine Pause einlegen, vielleicht frühstücken oder ein bisschen schlafen. Und dann frisch gestärkt weitermachen. Er würde ihren Körper besitzen, er würde sie zum Krüppel machen, und zu guter Letzt würde er ihr die Augen ausstechen, dieser kleinen Miss Unabhängig.
Und wenn er sie dann zum letzten Mal nahm, würde er es so langsam wie nur
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