Crescendo
schwarz im Mondlicht. Bald wurden die Wohnhäuser von Geschäften und Cafés abgelöst, doch auch hier war alles dunkel. Er wollte schon aufgeben, als er einen kreisrunden gelben Lichtschein auf dem Pflaster sah. Ein Pub. Anscheinend war der Wirt noch drin und räumte die letzten Gläser weg. In Gedanken an das Versprechen, das er MacIntyre gegeben hatte, widerstand Fenwick der Versuchung, gegen die Tür zu hämmern und lautstark 573
Einlass zu verlangen. Stattdessen kramte er ein paar Münzen aus der Hosentasche und warf sie gegen die Scheibe des er-leuchteten Fensters. Nach mehreren Versuchen steckte ein Mann den Kopf heraus und fragte nicht gerade leise: »Was’n los?«
»Polizei. Es handelt sich um einen Notfall. Machen Sie auf.«
»Woher soll ich wissen, dass Sie wirklich von der Polizei sind?«
Fenwick reckte sich und hielt seinen Dienstausweis hoch.
Mit einem Knurren knallte der Mann das Fenster zu. Etliche Minuten später war zu hören, wie die Tür entriegelt wurde.
Sie ging auf, und Fenwick war einen Moment lang geblendet, als das Licht auf die Straße fiel. Er konnte nur die Umrisse des Mannes erkennen. Er zeigte ihm erneut seinen Ausweis und stellte sich offiziell vor.
»Ich suche nach zwei Personen, nicht unbedingt zusammen. Ein Mann, David Smith. Ende zwanzig, gut ein Meter achtzig, schlank, könnte verletzt sein, mit Pflaster oder Verbänden im Gesichtsbereich …«
Er hielt inne, damit der Mann etwas sagen konnte, und wurde mit einem Achselzucken belohnt. Als er näher trat, konnte er seine Augen sehen. Generationen von Schmugg-lergenen hatten den misstrauischen Ausdruck geprägt, den er darin las. Der Mann warf einen kurzen Blick auf das Phantombild und schüttelte den Kopf.
»Im Sommer hab ich hier jeden Tag den Laden gerammelt voll. Kann Ihnen nicht helfen.« Er machte Anstalten, die Tür zu schließen. Mit einer blitzschnellen Bewegung überrumpelte Fenwick den Wirt und stellte den Fuß zwischen die Tür.
»Und eine Frau, vielleicht haben Sie die ja gesehen.« Fenwick hielt ihm Nightingales Foto unter die Nase.
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»So kann ich nichts sehen.«
Der Mann drehte sich zum Licht, um das Foto zu studieren, und wandte Fenwick den Rücken zu. Seine Schultern erstarrten.
»Nee, auch nicht.«
Aber die Anspannung im Körper des Mannes sagte etwas anderes.
»Überlegen Sie noch mal, Sir.« Fenwicks Augen wurden stumpf vor Zorn. »Wie heißen Sie?«
»Was geht Sie das an?«
Fenwick schaute nach oben und studierte die Worte auf dem alten Gasthausschild.
»Sind Sie Tremayne, der Wirt?«
Der Mann ließ sich die Frage durch den Kopf gehen und nickte dann.
»Gut, Mr Tremayne, Sie werden mir jetzt meine Frage beantworten. Haben Sie diese Frau gesehen?« Fenwick war sicher, dass dem so war und dass sein Gegenüber nur schwieg, weil er einen angestammten Argwohn gegenüber der Polizei hatte oder sich lieber aus allem raushalten wollte. »Ich behaupte, Sie haben sie gesehen.«
Ein berechnender Ausdruck huschte über das Gesicht des Mannes, aber er schwieg weiter.
»Hören Sie, der Mann ist ein Mörder, und diese Frau«, er trat einen Schritt vor und Tremayne wich etwas zurück, »ist sein nächstes Opfer.«
Er hätte nichts von alledem sagen dürfen, aber er war verzweifelt. Tremayne starrte ihn einfach nur an, und Fenwicks Zorn war fast nicht mehr zu zügeln.
»Wenn er sie findet und ich dahinter komme, dass Sie auch nur eine klitzekleine Kleinigkeit gewusst haben, sind Sie in meinen Augen sein Komplize. Bis jetzt noch sind Sie bloß 575
drauf und dran, sich ein Verfahren wegen Behinderung der Polizei einzuhandeln.« Tremayne wollte sich abwenden.
»Überlegen Sie sich gut, was Sie tun.«
Der Wirt ging durch den Schankraum und legte das Phantombild von Smith und das Foto von Nightingale auf den grünen Filz eines Billardtisches. Dann schaltete er das De-ckenlicht ein.
»So ist besser. Ja«, er tippte auf Smiths Gesicht, »der war heute hier, abends. Ist gegangen, bevor ich zugemacht habe.«
»Und die Frau?«
Tremayne wirkte jetzt nicht mehr ganz so selbstsicher.
»Er hat sich nach einer jungen Frau erkundigt, hat gesagt, sie wäre eine Freundin und schuldete ihm Geld. Ich kannte den Namen. Sie sieht anders aus als auf dem Foto hier.«
Fenwick spürte ein panisches Flattern tief in der Kehle.
»Sie haben sie gesehen?«
»Sie war vor einem Monat oder so mal hier. Danach hab ich sie nicht mehr gesehen.«
»Wissen Sie, wo sie wohnt?« Der Wirt kratzte sich den Schädel unter
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