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Crescendo

Crescendo

Titel: Crescendo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: corley
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Haare im Nacken und auf den bloßen Armen. Vorsichtig hob sie die Füße aus dem Bett und 589

    schob sie in ihre Laufschuhe. Die Shorts, die sie zur Gartenarbeit getragen hatte, lagen auf einem Stuhl. Um dorthin zu gelangen, musste sie über die nackten Dielenbretter gehen, was nicht geräuschlos zu bewerkstelligen war. Ihr Kopf arbeitete zweigleisig, das Gehör lauschte Richtung Treppe, jede andere Gehirnzelle überlegte verzweifelt, wo sie ihre Autoschlüssel gelassen hatte. Es fiel ihr wieder ein, und sie schüttelte den Kopf über ihre eigene Dummheit. Die lagen natürlich wie immer unten auf der Kommode.
    Wieder ein Knarren, die fünfte Stufe. Der Eindringling war jetzt kurz vor dem Treppenabsatz. Sie musste sich rasch entscheiden: weglaufen, kämpfen oder verstecken. Die letzten beiden Alternativen schloss sie aus. Sie war unbewaffnet, er hatte möglicherweise ein Messer oder sogar eine Schusswaffe, und hier im Zimmer gab es keine Möglichkeit, sich zu verstecken.
    Weglaufen. Aus dem Fenster springen? Es wäre ein freier Fall hinunter auf einen Steinplattenweg. Wenn sie sich verletzte, wäre alles aus. Neben dem Bett stand eine kleine Öllampe mit schwerem Fuß, die könnte sie als Waffe benutzen.
    Sie hob sie hoch und huschte geduckt zur Tür, um durch den Spalt am Rahmen in die relative Dunkelheit des oberen Flurs zu spähen. Er schien leer zu sein, aber die Nacht malte dunkle Schatten in die Ecken, groß genug, um einen Mann zu verbergen, der darauf lauerte, sie anzufallen, wenn sie vorbeikam.
    Sie hatte Panik. Der Mut, auf den sie sich in der Vergangenheit hatte verlassen können, hatte sich als schlichte Gleichgültigkeit ihrem eigenen Schicksal gegenüber entpuppt. Jetzt, wo sie leben wollte, ließ ihre innere Ruhe sie im Stich. Sie begann zu schlottern. Das Zittern war so heftig, dass das Glas in der Lampe klirrte und sie es mit der anderen 590

    Hand festhalten musste. Der Zorn auf ihre Schwäche zwang sie, sich ihrer Angst zu stellen. Sie würde nicht zueinem weiteren Opfer werden, das in Polizeiberichten auftauchte und bemitleidet wurde. Die Vorstellung, wie ihr Körper auf dem Obduktionstisch darauf wartete, mit einem Y-Schnitt geöffnet zu werden, erfüllte sie mit Ekel. Falls sie blieb, wo sie war, würde sie vielleicht sterben. Eine Idee schoss ihr durch den Kopf, und sie nahm ein Kopfkissen vom Bett. Jetzt musste sie nur losrennen. Sie beschloss, bis drei zu zählen, wie sie das als Kind getan hatte. Sie schmeckte Salz auf den Lippen, als sie zu zählen begann.

    Smith hielt die Luft an und zählte bis zwanzig. Das letzte Knarren des alten Holzes war so laut gewesen, dass er fast sicher war, sie geweckt zu haben. Als er zu Ende gezählt hatte, lauschte er, aber bis auf ein kaum hörbares Klirren von Glas war das Haus still.
    Er war nicht so unvorsichtig, sich seiner Phantasievorstellung hinzugeben – sie nackt, schlafend und schutzlos im Bett vorzufinden –, aber noch nie hatte er sich so stark, so unbesiegbar gefühlt. Er hatte ein Lächeln auf dem Gesicht, als er behutsam auf die nächste Stufe trat. Kein Laut. Er machte wieder einen Schritt, und ein ganz leises Knarren ertönte.
    Zwei Stufen weiter war ein Absatz, dann war es nur noch ein kurzes Stück bis oben. Er war so nah dran. Das Taschenmesser in der linken Tasche drückte wie eine Erektion gegen seinen Oberschenkel. Ein Lichtschimmer spiegelte sich in der Klinge des Fahrtenmessers, das er in der Hand hielt.
    Plötzlich war über ihm ein Luftstoß, und etwas Weißes huschte vorbei. Eine Gestalt, blass im Mondlicht, rannte über den Flur. Smith stieß einen wütenden Schrei aus und sprang vor, um ihren Fußknöchel zu packen, der fast in Reichweite 591

    war. Mit dem linken Fuß trat er schwer auf die Eckstufe und durchbrach krachend das morsche Holz. Er fiel nach vorn, und das Bein baumelte unter ihm in der Luft. Brüllend vor Frust zog er den Fuß hoch, zuckte vor Schmerz zusammen, als sich Splitter durch die Hose bohrten. Dann verklemmte sich sein Fuß in dem Loch. Er drehte ihn, zerkratzte sich die nackte Haut an der Wade, aber er saß fest. Mit dem Fahrtenmesser hackte er auf das Holz um seinen Knöchel herum ein, bis er den Fuß plötzlich mit einem Ruck frei bekam und fast noch die Treppe hinuntergefallen wäre.
    Er sprang die letzten Stufen hinauf und rannte hinter der Frau her, die in der Dunkelheit verschwunden war. Der Flur verlief nicht auf einer Höhe, und er stürzte der Länge nach ein paar Stufen hinunter, schlug mit

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