Crescendo
sich eine auf Video aufgenommene Serie an. Das Haus war still, endlich hatte er Zeit für sich. Er hätte zufrieden sein müssen, wurde aber im Laufe des Abends immer unruhiger.
In seinem gemütlichen Sessel überlegte er, was mit ihm los sein könnte, und kam zu dem unangenehmen Schluss, dass er entweder einsam war oder sich langweilte, vielleicht beides.
Monique war nun seit über drei Jahren im Krankenhaus. Die einzige Affäre, die er in dem Jahr nach ihrer Erkrankung gehabt hatte, war eine Katastrophe gewesen, die ihn Karriere und Familie hätte kosten können. Seitdem behielt er seine Gefühle und seine Leidenschaft fest unter Kontrolle.
In derselben Nacht träumte er von Claire Keating, nur dass es gar nicht Claire war, als er in ihr Gesicht sah. Hinter ihren Augen verbarg sich eine andere Frau. Um drei Uhr morgens hatte Bess wieder einen Albtraum, und diesmal wurde sie wach. Er beruhigte sie, bis ihr Atem langsamer ging und sich ihre Finger, die fest die Bettdecke umklammerten, entspannten.
Am nächsten Vormittag kaufte er mit Bess Leopardenschuhe unter der strikten Bedingung, dass sie nur auf Partys getragen würden. Sie waren neonlila und weiß gemustert, Farben, die ihn verblüfften und Bess gleichermaßen begeister-ten. Christopher bekam einen Action-Man-Panzer, und für 64
wenige Stunden war sein Vater wieder ein Held. Sein Sohn verteilte Wertschätzung nur zurückhaltend, in unregelmäßiger Dosierung, wobei er Fenwicks Allwissenheit und Zuneigung zwischendurch fast grausamen Tests unterzog. Er spürte bereits dunkel, wie provokant und aggressiv ihm sein Sohn in nicht mehr allzu ferner Zukunft begegnen würde, als wüsste er, nachdem er von der Mutter im Stich gelassen worden war, dass es nur noch eine Frage der Zeit sein konnte, bis auch der Vater ihn enttäuschte. Fenwick hatte seinen eigenen Vater kaum gekannt und wollte auf keinen Fall, dass Chris so lieblos aufwuchs wie er damals.
Trotz der gelegentlichen Regenschauer war es ein schöner Einkaufsbummel, den sie schließlich mit einem Besuch in ihrem Lieblingscafé krönten. An einem etwas abgeschiedenen Ecktisch tranken die Kinder zufrieden ihre Milchshakes und Fenwick seinen Kaffee, als Chris plötzlich sein Glas weg-schob.
»Daddy?«
»Ja, Chris.«
»Kommt Mummy je wieder?«
Er sagte es ganz normal, ganz ruhig. Es war, als wollte er einfach nur plaudern, aber seine Worte verschlugen Fenwick den Atem. Bess blickte ihren Vater an, ihre aufmerksamen Augen nahmen jede Veränderung in seinem Gesicht wahr. Er zwang sich, normal zu antworten.
»Nein, Chris, sie kommt nicht wieder.«
»Ist sie tot?« Nichts war zu spüren von der nervösen Hysterie, die sonst jedes Gespräch über seine Mutter begleitete.
Die absolute Reglosigkeit bei beiden Kindern machte Fenwick Angst. Sie wirkten unnatürlich ruhig, als warteten sie auf einen Sturm, von dem sie wussten, dass er jeden Moment losbrechen musste. Er wusste, dass seine Worte laut in 65
die Stille hineinfallen würden, die Spannung erhöhen oder abschwächen würden, je nachdem, wie geschickt er seine Antwort formulierte. Er suchte noch immer nach den richtigen Worten, als Bess Chris’ kleine Hand nahm und mit sachlicher Stimme sagte: »Nein, Chris, noch nicht. Sie ist sehr, sehr krank, und die Krankheit hat ihr Gehirn ganz kaputt gemacht. Es ist jetzt wie Knetgummi, nicht, Daddy? Ich habe gehört, wie du mal zu Alice gesagt hast, Mummys Gehirn wäre bloß noch ein Klumpen oder so.«
Fenwick kam nicht dazu zu antworten, weil Chris schneller war und aufgeregt sagte: »Dann könnte sie doch nach Hause kommen. Wenn nur ihr Gehirn nicht in Ordnung ist, könnten wir sie halten wie eine Katze oder so. Mein Lehrer hat gesagt, der Unterschied zwischen Tieren und uns ist der, dass wir denken können und Tiere nicht. Ich finde die Idee ganz schön, dass Mummy unsere Katze sein könnte. Dann könnten wir uns alle um sie kümmern.«
Fenwick streckte die Hände aus und legte sie auf die seiner Kinder. Er musste diese Hoffnung zerstören, bevor sie in Erwartung umschlug.
»Nein, meine Kleinen. Es geht ihr zu schlecht, um nach Hause zu kommen. Sie braucht Ärzte und Pfleger, die sich um sie kümmern, und sie schläft die ganze Zeit. Dafür gibt es einen bestimmten Ausdruck, meint ihr, ihr könnt ihn euch merken?«
Sie nickten beide ernst, die Augen groß und hell.
»Mummy liegt im Koma …«
»Im Koma«, wiederholten beide.
»Das bedeutet, sie schläft tief und fest, sie fühlt sich nicht krank,
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