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Crescendo

Crescendo

Titel: Crescendo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: corley
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aber sie muss im Krankenhaus bleiben.«
    »Hat sie Albträume?« Bess’ Stimme war voller Entsetzen.
    »Nein, sie kann nicht träumen. Sie schläft bloß ganz friedlich.«

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    »Dürfen wir sie sehen, Daddy? Du besuchst sie doch.«
    Chris blickte ihn hoffnungsvoll an.
    Fenwick dachte an Moniques ausgezehrten, weißen Körper, an die Apparate und Schläuche, die all das für sie taten, was ihre Organe nicht mehr konnten.
    »Sie ist sehr weit weg, Chris. Ich glaube nicht, dass das möglich ist. Sie würde gar nicht merken, dass ihr da seid.«
    Er bereute seine Aufrichtigkeit jetzt. Er hätte ihnen sagen sollen, sie sei gestorben. Dann hätten sie den Schmerz inzwischen hinter sich, statt weiterhin nicht richtig um ihre Mutter trauern zu können. Aber er konnte seine Kinder nicht belü-
    gen. Sie waren ihm zu ähnlich und würden ihm eine so krasse Lüge niemals verzeihen. Chris öffnete den Mund, um einen Einwand zu erheben, aber Bess schüttelte den Kopf und sagte: »Nein, Chris. Es bringt wirklich nichts. Sie wird sowieso bald tot sein.« Fenwick und sein Sohn starrten sie an. »Das träume ich immer. Ich bin am Meer, und Mummy geht über einen sehr breiten Strand zum Wasser. Ich laufe ihr nach, aber ich kann sie nicht einholen. Sie geht nur, und ich laufe, aber ich kann sie einfach nicht einholen. Sie ist jetzt fast am Meer, und ich weiß, wenn sie da ist, stirbt sie.«
    Fenwick war entsetzt, aber Chris nickte bloß verste-hend.
    »Sie will zum Himmel. Es ist ein weiter Weg, deshalb dauert es so lange.« Er blickte auf, seine blauen Augen strahl-ten zufrieden, dass er es endlich verstanden hatte. »Hab ich Recht, Daddy?«
    »Ja, du hast Recht.« Seine Stimme war belegt, und er nahm einen Schluck Kaffee. Er hoffte, dass sie seinen Blick nicht lesen konnten, aber Bess, der nichts entging, zog ihre Hand weg und tätschelte ihm den Arm.
    »Schon gut, Daddy. Ich weiß, es ist traurig, aber ich glau-67

    be, sie will jetzt gehen. Ist bestimmt nicht so lustig, die ganze Zeit im Krankenhaus zu liegen.«
    »Da hast du wahrscheinlich Recht.« Er blickte sie beide an und sah eine tiefe Akzeptanz in ihren Augen. Für sie war es einfach. Bloß er lief Gefahr, die Sache zu komplizieren, wenn er mehr sagte.
    »So, Leute, fahren wir nach Hause?«
    »Würde ich gern.« Chris zog sich ohne Protest den Mantel an. »Ich möchte ein Bild für Mummy malen.«
    Er malte ein Bild – ein Boot auf einem Meer, mit einem Strand im Vordergrund. Auf dem Strand waren drei Figuren, eine große und zwei kleine. Sie hatten traurige Gesichter. Auf dem Boot war eine einzige Figur, die eine sorgfältig gemalte, übergroße Hand zum Abschied erhoben hatte. Sie hatte langes Haar und lächelte. Quer darüber schrieb Chris in seiner schönsten Schrift: »FÜR MUMMY, IN LIEBE CHRISTO-PHER.« Auch Bess wollte etwas machen und holte ihre un-vollendete Stickarbeit hervor: ein Gänseblümchen auf blauem Grund, es fehlte nur noch die gelbe Mitte und ein Blüten-blatt. Als sie fertig war, stickte sie farblich hervorgehoben in eckigen Buchstaben: MUMMY + BESS.
    Fenwick lobte die Werke seiner Kinder, machte ihnen etwas zu essen und wartete darauf, dass der Sturm der Gefüh-le losbrach, aber der Abend verlief friedlich. Sie spielten zusammen Monopoly, und der Fernseher blieb aus. Sie kuschel-ten lange, und dann badeten die Kinder. Als sie fertig waren, sprachen sie für ihre Mummy ein Gebet und fragten, ob sie zusammen in einem Bett schlafen durften, was ihr Vater erlaubte. Chris schlief ein, die Arme um seinen neuen Panzer, Bess hatte die Arme um ihren Bruder gelegt.
    Um elf klingelte das Telefon. Um diese Zeit bedeutete das normalerweise Arbeit für ihn, doch da ihm Bess’ Worte noch 68

    in den Ohren klangen, nahm er den Hörer mit einem ungu-ten Gefühl ab.
    »Fenwick.«
    »Hier spricht Doctor Mortimer, Mr Fenwick. Ich bin Assistenzarzt im St. Theresa’s. Der Zustand ihrer Frau hat sich verändert. Es wäre besser, Sie würden herkommen.«
    »Sofort?«
    »Ich denke, ja.«
    Er weckte Alice, deren Mitgefühl er nur schwer ertragen konnte.
    »Es wäre schön, wenn Sie in der Nähe der Kinder schlafen könnten. Bess hat manchmal Albträume, und ich will nicht, dass die beiden allein sind.« Er erzählte ihr nicht, woher die Albträume rührten.
    Alice drückte ihm den Arm. »Natürlich, das mache ich gern.« Er fuhr die vertraute Strecke durch heftigen Regen, es waren kaum Autos unterwegs, und in den Mulden der Stra-
    ßen stand bereits das Wasser. Die

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