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Crescendo

Crescendo

Titel: Crescendo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: corley
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Abschiedsgeschenke der Kinder lagen sicher in Plastiktüten eingepackt auf dem Rück-sitz.
    Das Krankenhaus war spärlich beleuchtet, und ein netter Pförtner, dessen Gummisohlen auf dem Linoleum quietschten, führte ihn über düstere Korridore. Fenwicks Frau war in ein Einzelzimmer verlegt worden. Er sah sofort, dass die meisten Schläuche verschwunden waren, und setzte sich. Das Beatmungsgerät klickte und seufzte, und Fenwicks Atem passte sich dem langsamen Rhythmus an. Jemand hatte ihr das schöne Haar gekämmt, und es lag wie ein dunkler Glorien-schein auf dem Kopfkissen. Ihre Hände lagen auf der Bettdecke über ihrem eingefallenen Bauch, hübsche Baumwollärmel verhüllten die schlimmsten Nadeleinstiche und blauen Flecke von langen Jahren intravenöser Versorgung.

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    Irgendwann merkte er, dass ein junger Mann, vermutlich der Arzt, der ihn angerufen hatte, neben ihm stand.
    »Wie lange noch?«, fragte er.
    »Schwer zu sagen, aber nicht mehr sehr lange.« Sie sprachen vorsichtshalber im Flüsterton, für den Fall, dass die Frau, die vor ihnen lag, doch noch hören konnte, so unwahrscheinlich es auch war. Fenwick stand auf, und sie gingen hinaus auf den Korridor, um dort weiterzureden.
    »Ihre Leber hat versagt. Es ist nur noch eine Frage der Zeit.«
    »Wollen Sie das Beatmungsgerät abschalten?«
    »Die Entscheidung liegt nach wie vor bei Ihnen. Aber es besteht jetzt absolut keine Hoffnung mehr.«
    Er wartete, während Fenwick durch die offene Tür auf die ungerührt arbeitende Maschine blickte.
    »Ich brauche ein bisschen Zeit.«
    »Natürlich. Kann ich Ihnen etwas bringen? Einen Tee?«
    Fenwick lächelte schwach, Tee, das britische Allheilmittel.
    »Ja, das wäre nett.« Er hatte gelernt, dass es besser war, andere helfen zu lassen.
    Er öffnete die Plastiktüten – eine von einem Schuhge-schäft, die andere von einem Spielzeugladen – und nahm das Bild und die Stickarbeit heraus. Er lehnte die Geschenke seiner Kinder gegen das Fußende des Bettes, als ihm einfiel, dass er selbst gar nichts mitgebracht hatte. Der Tee kam, und man ließ ihn allein. Er nahm die bleiche Hand seiner Frau und hielt sie. Sie war warm und weich, die Nägel geschnitten und sauber, und er war dem unbekannten Menschen für diese Aufmerksamkeit dankbar.
    Er sah zu, wie Moniques Brust sich hob und senkte, wusste aber, dass das nichts bedeutete. Er trank von seinem Tee.
    Sobald die Tasse leer war, würde er den Arzt holen. Er merk-70

    te, dass er nur ganz kleine Schlucke trank, während er ihre Hand hielt und den Puls zählte, als wäre es Zauberei.
    Der Tag dämmerte, als er heimfuhr. Das Haus lag dunkel und still im grauen Licht. Eine Amsel, die vor Lust nicht schlafen konnte, trällerte auf einem Baum. Alice schlief auf dem Sofa, mit offenem Mund. Er ging in die Küche und machte sich noch eine Tasse Tee.
    Der Zorn überraschte ihn. Er hatte gedacht, dass er ruhig sein würde, nicht von dieser Wut erfüllt, die die Ordnung um ihn herum am liebsten zerschlagen hätte. Er hatte bisher alles verdrängt, der Zorn auf Monique und ihre Depressionen hatte all die Jahre auf diesen Augenblick gewartet. Er verspür-te den Drang, laut aufzuschreien. Stattdessen presste er den Teebeutel so fest aus, dass seine Fingerknöchel weiß wurden, und wischte sich mit der freien Hand über das Gesicht. Er gab einen Schuss Milch in die Tasse, als er hinter sich Schritte auf weichen Pantoffelsohlen hörte.
    »Ist sie von uns gegangen?«
    »Ja, Alice, sie ist tot. Möchten Sie Tee?«
    Seine Haushälterin stellte sich neben ihn und legte ihm einen rundlichen Arm um die Taille.
    »Wenn Sie Wut empfinden oder Schuldgefühle, sträuben Sie sich nicht dagegen. Das ist normal, glauben Sie mir. Das geht uns allen so, wenn der Partner stirbt.« Sie drückte ihn sanft. »Eine Tasse Tee wäre schön, danke.«
    Sie tranken eine Weile schweigend, während draußen das einstimmige Gezwitscher zu einem lärmenden Chor an-schwoll. Sanftes Licht drang in die Küche.
    »Schlafen die Kinder?«
    »Wie die Murmeltiere. Haben die ganze Nacht keinen Mucks von sich gegeben. Die Beerdigung …?«
    »Darum muss ich mich kümmern. Würden Sie mir dabei 71

    helfen? Nur im kleinen Kreis, aber ich muss Moniques Familie verständigen.«
    »Natürlich.« Sie zögerte. »Nehmen Sie die Kinder mit?«
    Über die Frage hatte er sich schon auf der langen Fahrt nach Hause den Kopf zerbrochen.
    »Ich denke, ja. Sie brauchen etwas Greifbares, um sich verabschieden zu können. Aber nur,

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